Flexibilisierung der Hochschulweiterbildung

Der Megatrend der Individualisierung, Flexibilisierung und Personalisierung ist auch in der Weiterbildung angekommen: Kundinnen und Kunden von heute sind es gewohnt, aus Dienstleistungen und Angeboten das Passendste für sich selbst zusammenzustellen. An der Herbsttagung des Zentrums für universitäre Weiterbildung (ZUW) vom 12. November 2021 wurde diskutiert, was dies für die Hochschulweiterbildung bedeutet.

Von Neslihan Steiner, 2021

Angetrieben durch die Zunahme persönlicher Wahlfreiheiten und individueller Selbstbestimmung weitet sich der Anspruch auf Flexibilisierung auf weitere Lebensbereiche aus. Der intensive Wettbewerb im Weiterbildungsmarkt zeigt, dass flexible Hochschulweiterbildung nicht mehr nur „nice to have“, sondern ein Muss ist. Mehr Flexibilität und Wahlmöglichkeiten erwarten Kundinnen und Kunden nicht nur in der Weiterbildung. Wie das erfrischende Einstiegsreferat von Dr. Christina Cuonz, Direktorin des Zentrums für universitäre Weiterbildung Bern, bildhaft in kurzen Video-Interviews gezeigt hat, herrscht der Trend auch in anderen Bereichen vor: Was kann die Weiterbildungsbranche von Unternehmen lernen, die konfigurierbare Möbelsysteme oder modulares Bauen anbieten oder personalisierte Fahrräder nach individuellen Bedürfnissen und Vorlieben zusammenstellen?

Flexibilisierung ≠ Modularisierung

Zunächst ist flexibel nicht gleichbedeutend mit modular: Modularisierung ist eine Möglichkeit, Flexibilität zu schaffen, aber nicht die einzige. Flexibilisierung kann drei Dimensionen umfassen: Inhalt, Zeit und Raum. Kunden und Kundinnen haben inhaltliche Wahlmöglichkeiten, können die zeitliche Strukturierung mitbestimmen und das räumliche Setting wählen, also den Online- oder den Präsenzmodus oder sogar eine Mischform.

Bedingt Flexibilität im Angebot auch Flexibilität beim Anbieter? Ja und Nein. Der Blick über den Tellerrand der Hochschulbildung zum Möbelhersteller USM, zum Baubüro In Situ und zum Velohändler DesignYourBike zeigt:  Nur eine durchdacht gestaltete Palette von klar definierten Bausteinen und fest verbindlichen Regeln ermöglichen als stabiler Rahmen Flexibilisierung und individuelle Kombinierbarkeit.

Kein kurzlebiger Trend

Inputreferate aus der Forschung und Beispiele aus der Praxis zeigten sowohl  den Blickwinkel der Weiterbildungsanbietenden als auch den von Weiterbildungsteilnehmenden. Einen empirischen Überblick lieferte Dr. Nicolas Reum, Projektmanager Bereich Hochschulforschung, CHE Centrum für Hochschulentwicklung mit seiner Trendanalyse zu Kurzformaten:  Sie belegt in Deutschland einen eindeutigen Trend hin zu mehr Kurzformaten. Gründe aus Anbietersicht sind die schnellere Konzeption und  Implementierung innovativer Kurzformate; für die Kundinnen und Kunden sind die Niederschwelligkeit und geringeren Kosten attraktiv.  Vor allem aber entsprechen Kurzformate einem Bedürfnis der Weiterbildungsteilnehmenden: Berufstätige und Personen mit Familienpflichten bevorzugen thematisch fokussierte und zeitlich begrenzte Weiterbildungsangebote.

Eva Cendon, Professorin für Wissenschaftliche Weiterbildung und Hochschuldidaktik an der FernUniversität in Hagen, hat die Teilnehmendenperspektive analysiert. Anhand von Personas zeigt sie auf, was verschiedene Teilnehmer-Typen von einer Weiterbildung erwarten:  Ein gestuftes Angebotsportfolio, Bausteine für individuellen Aufbau und Lernen "à la carte".

Perspektiven und Probleme der Flexibilisierung

Der Flexibilisierungstrend bietet eine positive Perspektive für die Hochschulweiterbildung, da flexible Angebote rasch auf neue Themen und Bedürfnisse reagieren und neue Zielgruppen erschliessen können. Es existieren bereits an diversen Hochschulen flexible Weiterbildungsprogramme; aufgrund des zunehmenden Interesse der Kundinnen und Kunden an solchen Formaten wird das Angebot kontinuierlich ausgebaut.

Mit diesem Trend sind aber auch Herausforderungen verbunden. Dr. Pascale Anderle, Stellvertretende Direktorin und Studienleiterin der sitem-insel School, ging in ihrem Praxisbeispiel auf das Spannungsfeld Qualität – Kosten – Zeit ein. Wie kann das magische Dreieck «hohe Qualität – möglichst tiefe Kosten – begrenzte Zeit» in der Weiterbildung gestaltet werden?  Anbieter haben die anspruchsvolle Aufgabe, diese Dimensionen in einem vertretbaren Verhältnis aus zu balancieren. Flexible Weiterbildungsprogramme erfordern weitaus mehr Beratung als fest definierte Weiterbildungen; individuelle Lernpfade bedingen auch eine engere Lernprozessbegleitung.  Wer soll diesen Prozess begleiten und die beratende Rolle einnehmen, und wie können diese Aufwände den Kunden bewusst gemacht und in Rechnung gestellt werden? Prof. Dr. Christoph Negri, Institutsleiter IAP Institut für Angewandte Psychologie ZHAW, verdeutlichte in seinem Praxisbeispiel, dass die Flexibilisierung eine neue Definition der Rolle der Studienleitung bedingt. An der ZHAW werden hinsichtlich der Lernprozess-Begleitung die Kompetenzen aller involvierter Parteien überdacht und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz geprüft.

Flexible Formate versus standardisierte Anforderungen und Abschüsse

Qualitätssicherung, Transparenz bei flexibilisierten Angeboten und Anerkennbarkeit der Abschlüsse waren die offenen Fragen, die sowohl vom Publikum als auch von den Referentinnen und Referenten immer wieder thematisiert wurden. In Deutschland erschwert die fehlende Strukturierung der Kurzformate und die nur geringe Verbreitung normierter höherer Weiterbildungsabschlüsse wie CAS, DAS und MAS die Entwicklung und Organisation flexibler Weiterbildungsangebote. In der Schweiz fehlt momentan noch eine Regelung zu Kurzformaten unterhalb der CAS-Stufe in der Hochschulweiterbildung. Eine kohärente, überinstitutionell anerkannte Systematik und ein verbindlicher Qualitätsrahmen für Formate und Inhalte könnten die Antwort auf dringende Fragen nach der Qualitätssicherung und Vergleichbarkeit von Abschlüssen bei flexiblen, anschlussfähigen Angeboten liefern.

Bedeutet Flexibilisierung der Hochschulweiterbildung auch, dass Knowhow, welches von den Weiterbildungsteilnehmenden ausserhalb von Hochschulen erworben wurde, in Zukunft vermehrt von den Hochschulen bei Zulassungen angerechnet werden soll? Und wenn ja: Was würde das für das distinktive Profil als Hochschulanbieter bedeuten? Welche Qualitätsstandards und Prinzipien würden bei der Validierung gelten? Eine eindeutige Antwort konnte der Nachmittag nicht bieten – vielmehr offenbarte die rege Diskussion eine Aufforderung an die Akteure der Hochschulweiterbildung, gemeinsam strategisch-systemische Überlegungen auch über die Tagung hinaus anzustellen.

Materialien und Bildergalerie zur Herbsttagung 2021

 

Save the date

Die nächste Herbsttagung findet am Freitag, 11. November 2022 statt.

 

Herbsttagung des ZUW

Die in der Regel im November durchgeführte Herbsttagung des Zentrums für universitäre Weiterbildung ZUW widmet sich seit 2010 übergreifenden, aktuellen Themen der Hochschulweiterbildung. Sie richtet sich an Personen, die in der (Hochschul-)Weiterbildung tätig sind oder sich mit Innovation in der Weiterbildung befassen sowie an Personal- und Bildungsverantwortliche im privaten und öffentlichen Sektor.

Zur Autorin

Neslihan Steiner ist Mitarbeiterin der Stabsstelle Kommunikation des ZUW.