Porträt Wissenschaftlerinnen der Uni Bern

Wissenschaftlerinnen der Uni Bern

Esther Fischer-Homberger: Die Frei-Denkerin und Pionierin der Medizingeschichte

Esther Fischer-Homberger baute in Bern das Institut für Medizingeschichte auf und war eine der ersten, die den männlichen Blick auf den (kranken) weiblichen Körper untersuchte. Die unkonventionelle Denkerin trat wegen Normen und Werten an der Universität, die sie nicht teilte, und wegen Verzettelung durch ihre vielfältigen Aufgaben und Interessen frühzeitig als Professorin zurück, und wirkte fortan als Psychotherapeutin.  

Von Hubert Steinke

Porträt der Medizinhistorikerin Esther Fischer-Homberger.
Porträt von Esther Fischer-Homberger, die das Berner Institut für Medizingeschichte aufbaute. Bildnachweis: Institut für Medizingeschichte/Peter Friedli

Steckbrief

  • Lebensdaten: 1940 – 2019
  • Herkunft: Affoltern am Albis/ZH
  • Fachrichtung: Medizin- und Geschlechtergeschichte
  • Zivilstand: Verheiratet mit dem Schauspieler und Zeichner Kaspar Fischer, mit dem sie drei Kinder hatte. Später in Partnerschaft mit der Autorin Marie-Louise Könneker. 
  • Zusätzliche Informationen: Geschichte der Medizingeschichte in Bern 

Heute spricht man vom sogenannten «Bikini-Blick» der Medizinwelt. Die Tageszeitungen berichten erstaunt über den statistisch nachgewiesenen Effekt, dass Leiden von Männern eher ernst genommen und diese auf dem Notfall schneller behandelt werden. Bei Frauen achtet die Medizin vor allem auf die spezifischen Frauenkrankheiten. Symptome wie chronische Schmerzen oder Migräne werden oft vorschnell als typisch weibliche, hormonell oder psychisch bedingte Leiden abgehakt. Man könnte auch von der «Krankheit Frau» sprechen und damit den Titel eines Buchs verwenden, das Esther Fischer-Homberger vor 40 Jahren veröffentlicht hat. 

Männlicher Blick auf weibliche Körper

In einer Zeit, als die Medizingeschichte noch stark mit den Erfolgen grosser Männer beschäftigt war und sich die Geschlechtergeschichte hierzulande erst langsam entwickelte, untersuchte sie den männlichen Blick auf den weiblichen Körper. Sie legte dar, wie Nervosität, Hypochondrie, Hysterie und Menstruation als Krankheiten konstruiert wurden, die dem weiblichen Körper eingeschrieben sind. Wer sich für den «Bikini-Blick» interessiert, wird ihr Buch auch heute noch mit Gewinn lesen. Auch mit ihren anderen Büchern «Hypochondrie» (1970), «Geschichte der Medizin» (1975) und «Medizin vor Gericht» (1983) griff Fischer-Homberger neue Themen auf, lieferte originelle Interpretationen und etablierte sich als wichtige Stimme in der historischen Forschung. Als ausgebildeter Ärztin war es ihr ein besonderes Anliegen, die historische Dimension medizinischen Wissens und Handeln sichtbar zu machen. Auch wenn sie dezidiert kritisch-historisch argumentierte, so waren ihre flüssigen Texte immer auch als Beitrag zu aktuellen Debatten zu lesen. 

Esther Fischer-Homberger wurde 1940 in Affoltern am Albis/ZH geboren, studierte in Neuchâtel und Zürich Medizin, habilitierte sich dort in Medizingeschichte und wurde 1978 als Professorin für Medizingeschichte nach Bern berufen. Sie baute ein kleines Institut auf, forschte erfolgreich nicht nur zum Frauenkörper, sondern auch zur Gerichtsmedizin und Psychiatriegeschichte und äusserte sich öffentlich in Vorträgen und Interviews. Den Akten zu ihrer Ernennung als vollamtliche Extraordinaria ist zu entnehmen, dass sie «eine feinsinnige zarte Natur mit nervig zähem Durchhaltevermögen» verbinde und «Autorität besitze, die auf Qualität beruht», deren Vorträge «im Inhalt geradezu elektrisierend, witzig und reich an englischen Unterstatements» seien. 

Rückkehr in die psychiatrische Praxis

1984 trat Esther Fischer-Homberger von ihrem Amt zurück. Sie begründete ihren Entscheid mit mangelndem Raum für schöpferische Arbeit, Verzettelung, «Ausstech- und Turniermethoden zur Entscheidung fachlicher Fragen» und Normen und Werten, die sie nur teilweise zu den ihrigen machen konnte. Den Entscheid habe sie nach langem «Überdenken und Überfühlen» getroffen. Die von Kollegen geäusserte Kritik der Verantwortungslosigkeit und Unberechenbarkeit von Frauen konterte sie mit der Bemerkung, es wäre erfrischend, wenn mehr Professoren, die ihren Elan und Erfindungsgeist verloren haben, zurücktreten würden, statt nur noch auf die Pensionierung zu warten. Fischer-Homberger kehrte zu ihrer «alten Liebe», der Psychiatrie zurück und arbeitete in einer psychotherapeutischen Praxis. Daneben  – im Austausch mit, aber ohne Einengung durch die Universität, – war sie bis zuletzt auch medizinhistorisch tätig. 

Politisches Engagement 

Frischen Wind versuchte sie als Grossrätin der Freien Liste (1984–1990) auch in die politische Diskussion zu bringen: Sie schlug tägliches Durchlüften, bunte Kostüme für verschiedene Fraktionen oder Lügenverbote vor – und natürlich viele ernstere Programme. Im Rat konstatierte sie Polarisierung und mangelnde Differenziertheit und Tiefe der Diskussion. 

Esther Fischer-Homberger war verheiratet mit dem Schauspieler und Zeichner Kaspar Fischer, mit dem sie drei Kinder hatte, von denen eines im Jugendalter starb. Seit 1984 lebte sie mit der Autorin Marie-Luise Könneker zusammen, mit der sie ein offenes Haus führte. Sie ist am 21. März 2018 in Bern verstorben.

Esther Fischer-Homberger veröffentlichte 1979 das Buch «Krankheit Frau».
Esther Fischer-Homberger veröffentlichte 1979 das Buch «Krankheit Frau». Bildnachweis: Berner Institut für Medizingeschichte
Esther Fischer-Homberger mit dem berühmten Medizinhistoriker Oswei Temkin in Baltimore im Jahr 1982. Bildnachweis: Berner Institut für Medizingeschichte/ Nachlass Fischer-Homberger
Esther Fischer-Homberger trat 1984 als Professorin zurück und wirkte wieder als Psychotherapeutin.
Esther Fischer-Homberger trat 1984 als Professorin zurück und wirkte wieder als Psychotherapeutin. Bildnachweis: Institut für Medizingeschichte/Peter Friedli

Zum Autor

Hubert Steinke ist Professor für Medizingeschichte und als Direktor des Berner Instituts für Medizingeschichte einer der Nachfolger von Esther Fischer-Homberger.