Porträt Selbstverständnis

Kommission für die Gleichstellung

Porträts

"Macht hat mit Strukturen zu tun"

Prof. Dr. Christian Leumann ist Professor für bioorganische Chemie und seit 2016 Rektor der Universität Bern. Christian Leumann war als Vizerektor Forschung bereits seit 2011 Mitglied der Universitätsleitung.

Gegenwärtig ist die Universität Bern punkto Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und der Gleichstellung in einem grossen Umbauprozess. Mit Reformen, die insbesondere den Ausbau von Nachwuchsstellen beinhalten, wollen wir die Strukturen an der Universität Bern so verändern, dass Hierarchien abgebaut und die Karriereperspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses verbessert werden. Denn die althergebrachten Wissenschaftsstrukturen sind in der Regel nicht mehr zeitgemäss und bieten wenig Partizipationsmöglichkeiten für jüngere Forschende. Klassische Beispiele für universitäre Machtstrukturen sind die "Lehrstühle" und die damit verbundenen Institutsimperien, die sehr hierarchisch aufgebaut sind und in der Regel wenig Spielraum für dynamische Entwicklungen zulassen. Ein wichtiges Element der Reformen ist der Ausbau von Nachwuchspositionen und von Assistenzprofessuren mit Tenure Track. Letztere sind auch ein wichtiges Frauenförderungsinstrument, setzen sie doch bei der Rekrutierung von jüngeren Talenten dort den Hebel an, wo die wohlbekannte "leaky pipeline" nicht mehr ganz so "leaky" ist wie noch vor wenigen Jahren.

"Dringende Unterstützung in Krisen-Zeiten"

Prof. Dr. Crispin Thurlow, Co-Präsident der Gleichstellungskommission an der Philosophisch-Historischen Fakultät und Professor für Sprache und Kommunikation, Institut für Englische Sprachen und Literaturen.

Gerade die vergangenen Monate haben gezeigt, wie wichtig die Arbeit der Abteilung für Gleichstellung und der Gleichstellungsstrukturen in den Fakultäten ist. An der Universität Bern waren sehr viele Mitarbeitende und auch Studierende durch die Corona-Massnahmen stark belastet, psychisch und physisch. Gerade Menschen mit Care-Verpflichtungen und Menschen, die zur Risikogruppe gehören oder mit jemanden aus der Risikogruppe zusammenleben, sind nach wie vor stark gefordert. Da ist es wichtig, von Seiten der Universitätsleitung empathisch und klar zu kommunizieren und Unterstützungsangebote bereitzustellen, so wie es die Abteilung für Gleichstellung macht.

"Mehr Zeit zum Denken"

Miriam Ganzfried ist Politologin und Koordinatorin für Qualitätssicherung und Gleichstellung an der WISO Fakultät der Universität Bern.

Wie kann der Frauenanteil im akademischen Kader erhöht werden? Die Frage der passenden Massnahmen zur Förderung gendergerechter akademischer Karrierewege ist für mich als Gleichstellungskoordinatorin zentral. Die aktive Unterstützung der wissenschaftlichen Laufbahn z. B. durch Mentoringprogramme ist wichtig, denn Nachwuchswissenschaftlerinnen brauchen weibliche Vorbilder. Zusätzlich braucht es ein strukturelles Umdenken weg vom Model der Vollzeitprofessur hin zu alternativen Führungsmodellen wie Jobsharing und Teilzeitstellen. Noch bedeutender scheint mir aber die vorherrschende Marktlogik des Wissenschaftssystems kritisch zu hinterfragen und - im Sinne von "Slow Science" - auf eine nachhaltige Entschleunigung der Wissenschaftskultur hin zu wirken: Denn Wissenschaft braucht Zeit. Zeit zum Denken.

"Wissenschaftliche Karriere und Kinder: Allein geht es nicht"

Prof. Dr. Susan Emmenegger

Prof. Dr. Susan Emmenegger ist Professorin für Privatrecht und Bankrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern.

Zivilistisches Seminar: www.ziv.unibe.ch

Je nach Sichtweise ist das Glas beim Thema Wissenschaftskarrieren von Frauen an der Universität Bern halb voll oder halb leer. Ich bin optimistisch: Mit der institutionellen Verankerung der Gleichstellung haben wir heute ein Glas, das wir aktiv füllen können. Das gilt auch für die schwierige Balance von Beruf und Familie. Hier gehört zu den grossen Herausforderungen, dass die wissenschaftliche Karriere in der Partnerschaft effektiv als gemeinsames Projekt gelebt wird. Eine einseitige Verteilung der Familienlasten lässt sich mit den institutionellen Rahmenbedingungen nur begrenzt auffangen. Die Rolle als familieninternes Backup-System: Sie bleibt ein gefährlicher Karriere-Killer.

Porträt Susan Emmenegger / Axel Tschentscher  "Exzellenz ist vielfältig"

"Die Zahlen sind ernüchternd"

Prof. Dr. Silvia Schroer

Prof. Dr. Silvia Schroer

Prof. Dr. Silvia Schroer ist ordentliche Professorin für Altes Testament mit besonderer Berücksichtigung der biblischen Umwelt am Institut für Altes Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Seit letztem Herbst ist sie Vizerektorin Qualität.

Im letzten Jahr wurden an der Universität Bern insgesamt 16 neue (ordentliche und ausserordentliche) Professuren besetzt. Nur gerade zwei davon sind Frauen. Auch bei den Assistenzprofessuren sieht es nicht viel besser aus: Nur 5 von 20 Stellen wurden mit Frauen besetzt. Und dies, obwohl sich die Uni Bern klare Zielvorgaben für die Förderung der Gleichstellung auf Stufe Professur gesetzt hat: 25% Frauen bei den ordentlichen/ausserordentlichen und 40% bei den Assistenzprofessuren.

Es gibt also noch viel zu tun. Ich bin zuversichtlich, dass wir in Sachen Gleichstellung auf dem Weg der «Besserung» sind.

Link zu den aktuellen Zahlen

"Die Kinder aufwachsen sehen"

Prof. Dr. Gaby Hirsbrunner

Prof. Dr. Gaby Hirsbrunner

Assoziierte Professorin an der Wiederkäuerklinik der Vetsuisse-Fakultät der Universität Bern (50% Anstellung)

Meine Motivation für diese Teilzeitstelle war, dass ich meine Kinder  zu einem Teil selber betreuen wollte. Es war für mich ein Vorteil, eine „späte Mutter“ zu sein. Ich war 37 als ich mein erstes Kind bekam und ich schloss damals gerade meinen PhD ab. Ich habe beruflich viel erreichen können, bevor die Kinder kamen. Es ist sicherlich einfacher, Forschungsarbeiten durchzuführen und Publikationen zu schreiben ohne Kinder. Für mich war es wichtig, die Kinder aufwachsen zu sehen.

Das ganze Interview sowie andere Portraitierte finden Sie auf unserer Webseite "Exzellenz ist vielfältig"

"Erfahrungen und Lösungsansätze zu Vereinbarkeit"

Prof. Dr. Ulrich Orth

Prof. Dr. Ulrich Orth

Ausserordentlicher Professor für Entwicklungspsychologie

"Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist in meinen Augen eine grosse Herausforderung für die Universität. Wissenschaft als Beruf erfordert den Einsatz von viel Zeit und Herzblut – Ressourcen, die dann nicht für andere Lebensbereiche zur Verfügung stehen. Für den wissenschaftlichen Nachwuchs kann es daher wichtig sein, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kennenzulernen, die Familienarbeit leisten, erfolgreich im Beruf sind und eine gute Balance zwischen Familie und Karriere gefunden haben. Solche Personen haben eine wichtige Modellfunktion. An unserer Fakultät organisieren wir deshalb Treffen des Mittelbaus mit Professorinnen, die auch im Hinblick auf Vereinbarkeit von ihren Erfahrungen und Lösungsansätzen berichten."

"Die Universität Bern setzt ein Zeichen"

Prof. Dr. Doris Wastl-Walter
Vizerektorin Qualität

„Mit der aktuellen Kampagne gegen sexuelle Belästigung verleiht die Universitätsleitung ihrem Anspruch auf ein gutes Arbeits- und Studierklima und auf ein faires und wertschätzendes Arbeitsklima zwischen Frauen und Männern Ausdruck. Die Universität kommt damit ihrer Verpflichtung nach Sensibilisierungs- und Präventionsarbeit nach und setzt ein Zeichen, denn die Universität Bern duldet keine sexuelle Belästigung. Weitere Informationen zur Kampagne finden Sie unter www.zu-nah.ch.“

"Die Zurückstellung von Wissenschaftlerinnen ist äusserst irritierend."

Prof. Dr. Michael Gerfin

Prof. Dr. Michael Gerfin
Departement Volkswirtschaftslehre

Mitglied der Kommission für die Gleichstellung

"Kürzlich erschien in der New York Times ein Artikel, der beschreibt, wie selbst etablierte und renommierte Ökonominnen erleben müssen, wie sie für ihre Arbeit nicht die Wertschätzung erhalten, die ihnen zusteht. Implizit wird suggeriert, dass sie auf die Hilfe ihrer Koautoren (und Ehemänner) angewiesen sind, so dass ihr Beitrag nur als zweitrangig erachtet wird. Angus Deaton, der Nobelpreisträger dieses Jahres und betroffen von der Zurückstellung seiner Ehefrau, sagt, 'this sort of problem was not good for women in science. [And] I think it is real enough'.

Ich empfinde diese Situation als Mann und als Wissenschaftler äusserst irritierend. Besserung ist nur möglich, wenn die Wahrnehmung solcher Phänomene, die ihre Ursache oft im Unbewussten haben, geschärft wird. Darin sehe ich eine wesentliche Aufgabe in meiner Arbeit in der Kommission für Gleichstellung."

Pia Portmann SUB Vorstand

Pia Portmann
SUB Vorstand
Ressort Gleichstellung und Kommunikation

Englische Sprach- und Literaturwissenschaften und Philosophie

"Schon als Kind habe ich bemerkt, dass nicht für alle Menschen dieselben Regeln gelten. Ich wusste zwar noch nicht, was Diskriminierung ist, aber hatte schon damals das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Und dieses Gefühl blieb.
In meinem Studium hat sich diese Intuition bestätigt. Ich habe gelernt und erforscht, wie unterschiedlich Männer und Frauen in den Medien repräsentiert werden und wie Menschen, die nicht den binären Geschlechterbildern entsprechen, oft unsichtbar gemacht und stereotypisiert werden.
Im Alltag zeigt sich immer wieder, dass Sexismus allgegenwärtig ist – sei es bei der Arbeit, Zuhause, im Ausgang oder eben auch an der Uni.

Es ist unübersehbar, dass Gleichstellung noch nicht erreicht ist und dass dies allen schadet. Die logische Schlussfolgerung: Man muss etwas dafür tun!"

Prof. Dr. Isabel Roditi

Prof. Dr. Isabel Roditi
Professorin für Zellbiologie
Vertreterin der philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät in der Kommission für Gleichstellung der Universität Bern

 

"Die Idee für das 120%-Modell hatten wir vor vielen Jahren an einem Mittagessen mit Kolleginnen. Jemand meinte, es wäre schön, wenn Postdocs mit Kinderbetreuungspflichten Teilzeit arbeiten könnten. Wir haben uns überlegt, das mit einer Laborantenstelle zu verbinden, so dass es zusammen 120% ergibt und sich die Stellen einen Tag in der Woche überlappen.

Ich habe das Modell der Universität und dem Nationalfonds präsentiert, eine Zeit lang ohne Erfolg. Als damalige Präsidentin des SNF-Fachausschusses Personenförderung konnte ich die Idee aber in das Strategiepapier einfliessen lassen und es wurde angenommen. Das war der offizielle Beginn. Nach dem Nationalfonds hat sich schliesslich auch die Universität dafür interessiert und inzwischen hat es sich hier an den Fakultäten etabliert."

"Macht, was euch wirklich fasziniert"

Prof. Dr. Britta Engelhardt

Prof. Dr. Britta Engelhardt
Direktorin des Theodor Kocher Instituts und Professorin für Immunbiologie
Vertreterin der Medizinischen Fakultät in der Kommission für Gleichstellung der Universität Bern

 

 

"Was ich den jungen Leuten immer nahelege: Macht, was euch wirklich fasziniert! Und überlegt nicht von Anfang an, was euer Berufsziel ist. Das ist ja auch der Geist der Universität im Gegensatz zur Wirtschaft. Wir bilden nicht in erster Linie Berufsleute aus. Wir machen eine akademische Ausbildung. Das heisst wir bilden nicht Leute aus, die in einen präzisen Beruf passen. Wir vermitteln Wissen an intelligente Leute und rüsten sie mit den Werkzeugen aus, sich Inhalte anzueignen und neues Wissen zu erzeugen. So formen wir junge Menschen mit vielen Talenten, die man in vielen Bereichen einsetzen kann."

"Die Universität ist kein politikfreier Raum"

Prof. Dr. Martin Reisigl

Prof. Dr. Martin Reisigl

Assistenz-Professor für Soziolinguistik, Mitglied der Kommission für die Gleichstellung, hat den Sprachratgeber in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Gleichstellung verfasst. Interview auf Uni Intern

 

 

"Die Frage des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs ist eine sprachpolitische Frage. Sie betrifft das Recht auf sprachliche Inklusion und auf Schutz vor Diskriminierung. Für die Universität Bern kommen die neuen Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache zum richtigen Zeitpunkt: Denn obwohl psychologische und linguistische Studien, die auf Wirkungsforschung beruhen, längst gezeigt haben, dass Frauen seltener mitgedacht werden und sich seltener angesprochen fühlen, wenn ausschliesslich männliche Personenbezeichnungen Erwähnung finden, werden immer noch männliche Sprachformen wie «Student»  und «Professor» verwendet, wenn auch auf Frauen Bezug genommen wird.

Ich hoffe, dass diese Empfehlungen einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Geschlechterverhältnisse an der Universität Bern leisten, auch wenn klar ist, dass Sprache auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit nur ein Hebel von vielen sein kann." 

"Gleichstellung intersektional denken"

Universitäten sind nicht losgelöst von gesellschaftlichen Machtstrukturen zu betrachten. Im universitären Kontext bestehen weiterhin strukturelle Ungerechtigkeiten: Während 58% der Studierenden weiblich sind, liegt der Frauenanteil auf Stufe Professur immer noch unter 25%. Gleichstellung ist aber nicht erreicht, wenn weisse, heterosexuelle cis Frauen in höheren akademischen Stufen und universitären Führungspositionen vertreten sind. Es geht auch um gleiche Mitwirkungsmöglichkeiten für und Repräsentation von trans und nicht-binären Personen, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen aus bildungsfernen Familien, Menschen mit knappen finanziellen Ressourcen, Menschen mit geringen sozialen Netzwerken und Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung. Der Kampf für effektive Gleichstellung geht weiter und dieser Kampf muss intersektional geführt werden!

"Wir sollten Gleichstellung nicht als «levelling down» betreiben"

Wohin man schaut: Man besetzt Stellen, die einst (fast) nur von Männern besetzt wurden, erst dann mit Frauen, wenn man diese Stellen in eine hierarchisch gesteuerte Struktur eingebunden und ihnen die ehemalige Bedeutung und Macht weggenommen hat. Warum dürfen Frauen erst dann «Lehrstuhlinhaberin» werden, wenn es das kleine und flexible Reich des Lehrstuhls gar nicht mehr gibt und sie stattdessen eine winzige Figur im Grossimperium «Universität» sind? Das Problem ist nicht mal so sehr, dass dieses Grossimperium in der Regel von Männern regiert wird, sondern dass es dem Wesen der Wissenschaft widerspricht und dass solche Stellen einfach nicht mehr attraktiv genug sind. Gute Wissenschaft ist nämlich ein individuelles, im besten Fall ein föderalistisches Projekt, sie ist niemals zentralistisch. Wir sollten Gleichstellung nicht als «levelling down» betreiben und müssen Bedürfnisse nach Autonomie und Gestaltungsmacht ernst nehmen. Entgegen dem verbreiteten Vorurteil sind das nämlich menschliche und nicht bloss männliche Bedürfnisse.