Prof. Dr. Zeno Stanga; Dr. med. Reinhard Imoberdorf und Dr. phil. Nadine Messerli-Bürgy

Ein Abend über Adipositas

Mittwoch, 13.04.2016, 18:15 Uhr


Veranstaltende: Collegium generale
Redner, Rednerin: Prof. Dr. med. Zeno Stanga, Leitender Arzt, Universitätsspital Bern; Dr. med. Reinhard Imoberdorf, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur und Dr. phil. Nadine Messerli-Bürgy, Departement für Psychologie, Universität Freiburg
Datum: 13.04.2016
Uhrzeit: 18:15 - 19:45 Uhr
Ort: Auditorium maximum, Raum 110
Hauptgebäude
Hochschulstrasse 4
3012 Bern
Merkmale: Öffentlich
kostenlos

Die Pandemie Adipositas - Untergehen trotz Rettungsring

Prof. Dr. med. Zeno Stanga, Leitender Arzt, Universitätsspital Bern

Zusammenfassung des Referats

Fettleibigkeit ist eine der grössten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO handelt es sich längst nicht nur um eine Problematik der vermögenden Industrieländer, wo 62 Prozent der Bevölkerung betroffen sind, sondern um eine weltweite Pandemie, die auch die armen Länder beschäftigt [1]. Von Übergewicht spricht man bei einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 bis unter 30, von Adipositas bei einem BMI ab 30. Rund um den Globus haben die Menschen ihre Ernährungsgewohnheiten geändert und die körperliche Aktivität parallel zur technologischen Entwicklung reduziert. Verarbeitete Lebensmittel sind zu attraktiven Preisen verfügbar. Gleichzeitig sind in Schwellenländern die Einkommen gestiegen und der Mittelstand gewachsen. Kein einziges Land hat es in den vergangenen 30 Jahren geschafft, die Adipositasrate zu senken. Die Anzahl der von Übergewicht und Adipositas Betroffenen stieg in diesem Zeitraum von 857 Millionen auf über 2 Milliarden [1]: Sie hat sich also mehr als verdoppelt. Leider sind auch Kinder weltweit betroffen: 2013 waren mehr als 22 Prozent der Mädchen und rund 24 Prozent der Knaben in den entwickelten Ländern übergewichtig oder adipös. In unterentwickelten Ländern ist Fettleibigkeit rund 30 Prozent stärker verbreitet als in den entwickelten Ländern [2].

Auch in der Schweiz hat die Fettleibigkeit zwischen 1992 und 2012 bedeutend zugenommen. 2012 war beinahe jede dritte Person ab 15 Jahren übergewichtig und jede zehnte adipös. Die Prävalenz von Adipositas hat sich in den letzten 20 Jahren beinahe verdoppelt (1992: 5,4%; 2012: 10,3%) [3]. Während jeder zweite Mann von Übergewicht und Adipositas betroffen ist, ist es bei den Frauen jede Dritte. Interessanterweise ist die Differenz nur beim Übergewicht gross, welche eine Vorform der Adipositas darstellt (Männer 39%; Frauen 23%). Bei der Adipositas ist der Unterschied zwischen Frauen und Männer viel geringer (Männer 11%; Frauen 9%) [3]. Wachstumsraten zählen hingegen mit zu den höchsten. Der Anteil übergewichtiger Kinder in der Schweiz ist zwar hoch bei 19 % (2012) aber zeigt ein erfreuliche Stagnation über den letzten 5 Jahren.

Im Prinzip hat sich die Auswahl an Grundnahrungsmitteln in den letzten dreissig Jahren kaum verändert. Daten des Schweizerischen Bauernverbandes zeigen, dass bei stabilem Verbrauch von Kartoffeln und Getreide etwas weniger Eier, Butter, Milch, Obst und Fleisch konsumiert wurden. Leicht zunehmend ist der Verzehr von Fisch und Gemüse, stark angestiegen ist der Konsum von pflanzlichen Ölen [4]. Während sich die Lebensmittelpalette in den letzten Jahrzehnten nicht wesentlich verändert hat, wandelte sich hingegen die Art der Zubereitung stark. Verheerend ist der stark ansteigende Konsum an Fertig- und Halbfertigprodukten, oft Kühl- oder Tiefkühlware. Diese Nahrungsmittel sind häufig energiedicht, enthalten zu viel raffinierte Kohlenhydrate, Fett und Salz und sind arm an Nahrungsfasern und natürlichen Mikronährstoffen. Sogenannter Fast Food ist ein klassisches Beispiel hierfür. Viel Fast Food enthält erhebliche Mengen an Transfettsäuren, die das Risiko für gewisse Tumorerkrankungen signifikant erhöhen und durch eine Verschlechterung des Blutlipidprofils zu häufigerem Auftreten von koronaren Herzkrankheiten und gesamthaft zu einer höheren Sterberate führen.

Der Mangel an körperlicher Betätigung ist neben der Ernährung ein weiterer wichtiger Grund dafür, warum es uns heute so schwer fällt, unser Körpergewicht unter Kontrolle zu halten. Während unsere Grosseltern noch lange Strecken zu Fuss zurücklegten, werden heute schon für kurze Entfernungen Fahrzeuge eingesetzt. Auch unsere Arbeitswelt verlangt immer weniger Körpereinsatz, da Tätigkeiten zunehmend von Maschinen übernommen werden. Studienergebnisse zeigen klar, dass eine Veränderung in der Art oder Dauer der täglichen Bewegung innert kürzester Zeit zur Einlagerung von Fett und zu einer vorerst unbemerkten Änderung der Körperzusammensetzung führt. Ein inaktiver Lebensstil hat nicht nur eine Zunahme des Körperfettanteils zur Folge, sondern wird oft begleitet von weiterem gesundheitsschädigendem Verhalten wie Rauchen und übermässigem Alkoholkonsum.

Adipositas zählt zu den wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislaufkrankheiten, Diabetes mellitus Typ II, muskuloskelettale Erkrankungen sowie bestimmte Krebsarten [5]. Aufgrund dessen ist auch die Lebenserwartung von Personen mit Adipositas geringer als von Normalgewichtigen. Beim Übergewicht sind hingegen die gesundheitlichen Folgen noch nicht abschliessend geklärt. Im Zentrum dieser pathophysiologischen Prozesse steht das viszerale Fett (Fett im Bauchraum), das wegen der Expression von entzündlichen Zytokinen, Adipokinen und freien Fettsäuren als treibende Kraft für eine chronische niedriggradige systemische Entzündung und für eine Insulinresistenz bei adipösen Menschen gilt.

Die durch die Fettleibigkeit verursachte soziale Belastung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt. Gemäss einer aktuellen Schätzung des McKinsey Global Institute betragen die globalen Kosten von Adipositas, inklusive Begleiterkrankungen, weltweit rund zwei Billionen US Dollars pro Jahr. Gemäss Bundesamt für Gesundheit haben sich die durch Übergewicht und Adipositas und deren Folgekrankheiten verursachten direkten und indirekten Kosten in der Schweiz in den Jahren 2002 bis 2012 verdreifacht: von 2,6 auf knapp 8 Milliarden Franken pro Jahr [6].

Die Sensibilisierung der schweizerischen Bevölkerung steckt in den Anfängen. Begonnen hat die Gesundheitsförderung Schweiz mit einzelnen Kampagnen in den letzten Jahren, die aber ohne den erhofften Erfolg blieben. Die Politik scheint trotzdem in den letzten Jahren etwas aufmerksamer auf die Probleme geworden zu sein und wir hoffen alle auf ein baldiges koordiniertes Vorgehen und mehr Aufklärung, um diese Entwicklung zu stoppen.

 

Macht Fett wirklich fett?

Dr. med. Reinhard Imoberdorf, Chefarzt innere Medizin, Kantonsspital Winterthur

Zusammenfassung des Referats

Dr. med. Reinhard Imoberdorf; reinhard.imoberdorf@ksw.ch

Die Häufigkeit von Übergewicht nimmt in den industrialisierten Ländern weltweit zu, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen. In der Ernährungslehre hat sich die These verbreitet, die Höhe der Fettzufuhr stelle einen relevanten, wenn nicht sogar den wichtigsten Umwelt- bzw. Lebensstilfaktor für die Entstehung von Übergewicht dar. Die Fett-These basiert vorwiegend auf der Erkenntnis, dass Fett mit 9 kcal/g eine mehr als doppelt so hohe Energiedichte aufweist, als Kohlenhydrate und Eiweiss mit jeweils 4 kcal/g.

Das erste Gesetz der Thermodynamik besagt, dass in einem geschlossenen System Energie weder gebildet noch vernichtet, sondern nur in andere Formen umgewandelt werden kann:

∆ E = Ein – Eout :  Die Veränderung der Energie ist abhängig von der Energie, die man dem System zuführt abzüglich der Energie, die dem System entzogen werden.

Die Veränderung der Fettmasse ist also abhängig von der Menge, die wir essen abzüglich der Energiemenge, die wir verbrauchen.

∆ Fettmasse = was wir essen – was wir verbrauchen.

Das Problem ist, dass die beiden Parameter auf der rechten Seite der Gleichung voneinander abhängig sind. Der Energieverbrauch setzt sich zusammen aus der Verdauung, den täglichen körperlichen Aktivitäten, der sportlichen Betätigung sowie dem Grundumsatz. Je nach dem was wir essen, wird der Verbrauch verändert und das wiederum wirkt sich aus auf das und wieviel wir bei der nächsten Mahlzeit essen. Auch was wir essen, hat einen Einfluss. Bei einer Ernährung mit vielen Kohlenhydraten, wenig Fett und mässigem Eiweissgehalt werden wir wegen Heisshunger schneller wieder essen, als wenn die Mahlzeit viel Fett, viel Eiweiss und wenig Kohlenhydrate enthält.

Es könnte auch sein, dass die linke Seite der Gleichung bestimmend ist. Das im Erwachsenenalter zu erreichende Körpergewicht könnte genetisch vorbestimmt sein, d.h. wir essen, damit wir dieses Gewicht erreichen und wenn wir zu wenig essen, dann reduzieren wir automatisch die körperliche Aktivität, damit wir weniger Kalorien verbrennen. Als Illustration könnte man einen Vorlesungssaal nehmen, in dem sich 500 Personen befinden. Es sind also 500 Personen mehr in den Saal hinein als hinaus gegangen. Dies lässt aber keinen Schluss zu, WARUM das so ist. Vielleicht regnet es draussen, oder es gibt im Saal ein Freigetränk oder der Referent ist besonders gut. Wir sehen also, dass das System extrem komplex ist und durchaus unerwartet reagieren könnte. So ist es nicht erstaunlich, dass die meisten Studien keinen eindeutigen Zusammenhang zeigen konnten zwischen der Höhe der Fettzufuhr und dem Körpergewicht oder der Zunahme des Bauchumfanges. Weitere Punkte, wie die Energiedichte, werden am Vortrag besprochen.

 

Spieglein, Spieglein an der Wand.... - Selbstwahrnehmung und Adipositas

Dr. phil. Nadine Messerli-Bürgy, Departement für Psychologie, Universität Freiburg

Zusammenfassung des Referats

Selbstwahrnehmung von adipösen Menschen wird oft mit der Fehleinschätzung ihres Körpergewichts in Verbindung gebracht. Bisherige Studien zeigen, dass bis zu 50% der Betroffenen ihr Gewicht falsch einschätzen. Selbstwahrnehmung für Menschen mit Adipositas beinhaltet jedoch weit mehr als nur die Fehleinschätzung des Körpergewichtes. Vergleiche des eigenen Körperbildes mit dem Idealbild der Gesellschaft, kognitive Verzerrungen, Stigmatisierungen, Misserfolge und Belastungssituationen führen zu einer negativen Selbstwahrnehmung und erschweren mögliche Therapieerfolge. Im Vortrag werden diese Aspekte anhand von Forschungsresultaten diskutiert.