Universität für alle Collegium generale

Visionen FS 2017

Bild Visionen Gläser

Visionen prägen das Geschick der Welt, der Gesellschaften, der Wissenschaften, der Religionen, der Kunst wie das einzelner Individuen. Die Reichweite der populären Einschätzungen zu Visionen ist weit, sie reicht von „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, so der 2015 verstorbene Helmut Schmidt, bis zu

„I have a dream“ von Martin Luther King – hinter beiden Einschätzungen verbergen sich Weltbilder. Die Vorlesungsreihe des Collegium generale möchte die Kraft der Visionen, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Begrenzungen, ihr Weltdeutungs- und -veränderungspotenzial erkunden. Mit Wahn, Traum und Wirklichkeit stehen Themen der Wahrnehmung, der induzierten Visionen und der pathologischen Verzerrungen auf dem Programm. In Malerei, in Prophetien und Politik spielten und spielen Visionen verheissungsvolle Rollen, denen wir nachgehen. Andere Beiträge wenden sich dem Denkbereich der Zukunft zu. Hier interessiert vor allem, wie die Gegenwart unter dem Einfluss von Visionen wahrgenommen wird und wie Utopien und Idealvorstellungen die Welt verändern wollen.

 

Vorlesungen der Reihe "Visionen"

Visualisierung von Visionen in der bildenden Kunst

  • Einführung ins Thema: Prof. Dr. Andreas Wagner
    Institut für Bibelwissenschaft, Altes Testament, Universität Bern
  • Dr. Bernd Kersten
    Institut für Psychologie, Universität Bern
  • 22. Februar 2017

Beim Bemühen in der Bildenden Kunst «Wirklichkeit» abzubilden, handelt es sich fast immer - nicht um Fotografien. Was strebt der talentierte Künstler an, was berührt uns an manchen dieser Bilder so sehr? Ich behandle die künstlerische Darstellung von gewöhnlichen Porträts, Naturszenen oder abstrakter Kunst. Was macht diese künstlerischen «Abbildungen» so besonders?
Künstler präsentieren eine virtuelle Welt, eine Welt, die nicht fotografiert werden kann, eine Welt, die uns auch «im Innersten» treffen kann. Wie ist das möglich? Weil bedeutende Künstler (wie Wahrnehmungspsychologen) das Essentielle der Darstellungen treffen, und weil Künstler diese so darstellen, dass sie unsere Weltsicht verändern können. Wie gelingt Künstlern das? Die Schwierigkeit ist hierbei, dass wir Kunst nicht bewusst sehen, sondern ihre «Wirklichkeit» nur empfinden können.
Ich werde das Phänomen des talentierten Künstlers nur phänomenal beschreiben: (i) Künstler lenken unsere begrenzte Aufmerksamkeit (unser Interesse), (ii) sie erzeugen eine unmittelbare emotionale Wirkung mit einfachen aber wirksamen Darstellungsmitteln. Und sie (iii) erzeugen durch Mehrdeutigkeit eine metaphorische Bedeutung, die sich «im Auge des Betrachters» (Shakespeare) entfalten kann.
Diese Vorlesung wird vermutlich Ihre Sicht auf Bildende Kunst erweitern: Für mich ist es selbstverständlich, dass das Talent des bedeutenden Künstlers in seinem Werk angelegt ist -  obwohl man es unmittelbar nicht bemerkt.

 

Induzierte Illusionen und Halluzinationen

  • PD Dr. Andreas Altorfer
    Schweizerisches Psychiatrie-Museum, Bern
  • 1. März 2017

Mit Beispielen wird eine Auswahl von Phänomenen präsentiert, die im Bereich der Wahrnehmung zu fehlerhaften Interpretationen führen. Es geht dabei um visuelle Illusionen (optische Täuschungen) bei denen Längen, Farbe, Grösse, Raum, Bewegung und Bedeutung mindestens als zweideutig und vielfach falsch wahrgenommen und interpretiert werden. Neben visuellen Täuschungen wird auch auf akustische Phänomene hingewiesen, die den Erlebnisbereich von Musik stark beeinflussen können und durch Verletzungen von Erwartungen zu Emotionalisierungen führen. In einem weiteren Teil wird auf die Möglichkeit hingewiesen, wie über externe Reize das Wahrnehmungserlebnis beeinflusst werden kann, das als induzierte Halluzinationen gelten kann. Neben der Beeinflussung der Wahrnehmung mit Substanzen besteht auch die Möglichkeit,  mit bewegten geometrischen Bildern den Prozess der Wahrnehmung kurzfristig zu beeinflussen. Dabei können Zweifel an der objektiv gegebenen Realität entstehen, die zur Erhaltung des Realitätsbezugs als extern induziert bewertet werden müssen. Einige Beispiele aus künstlerischen Arbeiten sollen die Möglichkeit der Integration von Täuschungsphänomenen in Bilder veranschaulichen und damit einen Bezug zum Alltag schaffen.

 

Visionen: Erscheinungen und andere Halluzinationen

  • Prof. Dr. Daniela Hubl
    Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitäre Psychiatrische Dienste, Bern
  • 8. März 2017

Die Wortbedeutung von Visionen benennt das bildhafte Erleben von etwas, was mit den Augen eigentlich nicht wahrnehmbar ist. Dennoch erscheint es dem Erlebenden, dem Visionär, als real. In der Religion wird dies auf eine jenseitige Macht zurückgeführt.
In der Psychiatrie gibt es Phänomene, bei denen ebenfalls Wahrnehmungen beschrieben werden, die ohne einen äusseren Sinnesreiz hervorgerufen werden. Diese als Halluzinationen bezeichneten Symptome treten prototypisch und diagnostisch bei Psychosen auf.
In meinem Referat werde ich diese beiden Bereiche gegenüberstellen. Bei den Halluzinationen werden zudem die neurobiologischen Ursachen erläutert.

Visionen für das Ernährungssystem der Zukunft: gedruckt oder gekocht?

  • Dr. Hans Rudolf Herren
    Biovision, Stiftung für ökologische Entwicklung, Zürich
  • 15. März 2017

Wir haben als Gesellschaft mehrere Aufgaben gegenüber der Natur, unserer Lebensgrundlage, und auch Gegenüber der nächsten Generationen. Die Entscheide, die wir heute beim Einkaufen und Essen treffen, sowie natürlich auch den Lebensstil, den wir uns erlauben, haben ausschlaggebende Einflüsse auf unsere Zukunft auf unserem – einmaligen – Planet Erde. Werden wir es schaffen, uns so zu ändern, dass es für alle und auf lange Zeit reicht, oder werden wir uns wie auch schon frühere Zivilisationen vor dem letzten Baum fragen, ob er jetzt doch noch auch gefällt werden sollte? Mit unserer Ernährung können wir den heutigen Klimawandelkurs beeinflussen. Werden wir es tun? 

Glanz und Schrecken der technisierten Zukunft. Visionen und Dystopien im 20 Jahrhundert

  • Prof. Dr. Martina Heßler
    Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg
  • 22. März 2017

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nimmt Technik in Visionen und Zukunftsentwürfen einen prominenten Platz ein. Dies verweist auf die zentrale Bedeutung von Technik für alle Lebensbereiche und damit auch für die Vorstellungen, wie wir in Zukunft leben wollen und sollen.
Der Vortrag beginnt mit einem kursorischen Blick auf die Geschichte der Zukunft, um die Historizität unseres heutigen Zukunftsdenkens deutlich zu machen.
Im Mittelpunkt des Vortrags stehen zwei Zukunftsentwürfe aus dem Jahr 1909, die heute als hellsichtige Vorwegnahme des Internets gelten. Während der eine Entwurf eine glanzvolle technisierte Zukunft zeichnet, handelt es sich bei dem anderen um eine düstere Dystopie.
Der Vergleich dieser Vision und der Dystopie verweist nicht nur auf die Gleichzeitigkeit von euphorischer Vision und apokalyptischer Dystopie. Vielmehr wird auch deutlich, dass uns vergangene Visionen für gegenwärtige Fragen sensibilisieren können, dass sie aber auch Grenzen des Vorstellbaren enthalten, die in der jeweiligen Zeit liegen.

Vision Europa

  • Daniel Cohn-Bendit
    Publizist, Frankfurt
  • 29. März 2017

Zwischen Leidenschaft und Ablehnung: Daniel Cohn-Bendit spricht über den Zustand und die mögliche Zukunft der europäischen Union. Braucht es mehr oder weniger Europa? Welche Transformationen sind nötig für eine starkes und demokratisches Europa? Wie kann man die Idee Europa weiterdenken?

Alttestamentliche Propheten: Zukunftsgerichtete Visionen?

  • Prof. Dr. Andreas Wagner
    Institut für Bibelwissenschaft, Universität Bern
  • 5. April 2017

Hat in den alttestamentlichen Visionen Gott gesprochen? Wann und wie ist eine alttestamentliche Vision wahr? Ist sie nur wahr wenn sie historisch wahr ist? Ist sie nur wahr, wenn sie auf den ihr zugeschriebenen Propheten zurückgeführt werden kann? War sie nur wahr, wenn sie in der damaligen Zeit in die Zukunft hinein gerichtet war und sich erfüllt hat? Wie wurden diese Visionen überliefert? Wann und warum verschriftlicht? Welchen Wert haben sie heute? Diesen Fragen wollen wir an Bespielen nachgehen, die aus dem Buch des Propheten Amos stammen, der im 8. Jh. v. Chr. gewirkt hat.

Quantencomputer

  • Prof. Dr. Daniel Loss
    Departement Physik, Universität Basel
  • 12. April 2017

Dieser Vortrag versucht einen kleinen Einblick in das hochaktuelle Gebiet des Quantencomputings [1] zu geben, mit Blick auf mögliche Realisierungen in Halbleitern, basierend auf den Spins von Elektronen in künstlichen Atomen [2,3]. Der Quantencomputer verspricht eine nächste Revolution in vielen Bereichen der Physik, Chemie und anverwandten Wissenschaften, wo schnelle Simulationen und Datenauswertungen neue Horizonte eröffnen. Trotz enormer Forschungsanstrengungen weltweit über die letzten Jahrzehnte hinweg ist der direkte Fortschritt aber relativ langsam aufgrund vieler physikalischer, mathematischer und technischer Herausforderungen, die von neuen Algorithmen, mondänen Materialproblemen, bis hin zu komplexen Vielteilchenproblemen reichen, die zur Erzeugung und Erhaltung von ‘verschränkten Quantenzuständen’ unabdingbar sind. Nichtsdestotrotz hat sich das Gebiet rasant entwickelt, in Theorie und Experiment, und es besteht Anlass zur Hoffnung, dass das Ziel, einen Quantencomputer zu bauen, in greifbare Nähe rückt. Viel Pionierarbeit wird auch in der Schweiz geleistet. Ich werde einen kleinen Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung sowie einen Ausblick auf künftige Entwicklungen geben.

Die ideale und die nicht-so-ideale Stadt: Stadt-Utopien, Transformation und Migration

  • Prof. Dr. Manuel Herz
    Urban and Landscape Studies, Universität Basel
  • 26. April 2017

Die Ideale, und die Nicht-so-ideale Stadt: Stadt-Utopien, Transformation und Migration
Die Vorstellung einer idealen Stadt ist seit Jahrhunderten eine der zentralen Impulse für den Entwurf und Bau von Städten. Die antiken römischen Kolonialstädte, oder Renaissancestädte wie Sabionetta und Palmanova sind Zeugnis dieses Sehnen nach einer idealen Stadt, die sich aber auch selbst noch in Stadtplanungen des 20. Jahrhunderts widerspiegelt. Über eine rein ästhetische und gestalterische Dimension hinausgehend, sind diese Städte auch der Versuch Kontrolle über die Gesellschaft und die Umwelt auszuüben. Das Referat geht anhand von vier konkreten Beispielen der Frage nach, wie diese Idealen Stadtplanungen mit den Realitäten der urbanen Transformation und demographischer Migration ringen.

"We'll Meet Again Some Sunny Day." Apokalypse und Klimawandel im Science Fiction Film

  • Dr. Simon Spiegel
    Seminar für Filmwissenschaft, Universität Zürich
  • 3. Mai 2017

Als Genre, das meist einen technisch avancierten Zustand zeigt, scheint die Science Fiction in idealer Weise geeignet, die Folgen wissenschaftlicher und generell zivilisatorischer Entwicklungen darzustellen. Doch tatsächlich bekundet die filmische Science Fiction grosse Mühe, halbwegs plausible Zukunftsszenarien zu entwerfen. Die Anforderungen des Spielfilms – Spannungskurve, Konzentration auf wenige Figuren, Massentauglichkeit etc. – führen dazu, dass das Genre oft in der Form von Katastrophenfilmen auftritt, welche die von Susan Sontag beschriebene „peculiar beauties to be found in wreaking havoc“ zelebrieren. Dies gilt auch für das Phänomen des Klimawandels, das sich als besonders filmuntauglich entpuppt. In meinem Vortrag gehe ich auf diese Probleme ein, präsentiere aber auch einige Ausnahmen.

Himmlische Visionen - Irdische Grundlagen: Jerusalem

  • Prof. em. Dr. Bianca Kühnel 
    Institut für Kunstgeschichte, Hebräische Universität Jerusalem 
  • 10. Mai  2017

In diesem Vortrag handelt es sich um die Position Jerusalems zwischen Himmel und Erde, zwischen Mythos und Geschichte, Vision und Realpolitik. Es wird gezeigt, wie diese zwei Dimensionen als Gegensätze existieren, wie sie sich ergänzen, und wie diese Wechselseitigkeit visuell dargestellt wird.

Robotik und Digitalisierung: Visionen für die Gesundheitsverordnung 4.0?

  • Prof. Dr. Heidrun Becker
    Gesundheit, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften 
  • 17. Mai  2017

Automatisierung und Digitalisierung erfassen zunehmend auch die Gesundheitsversorgung. Mit der Entwicklung von Robotern und dem umfassenden Sammeln, Auswerten und Austauschen digitaler Daten werden hohe Erwartungen verbunden: Die Gesundheitsversorgung soll effektiver, effizienter und zugleich kostengünstiger werden, der Personalmangel bei steigendem Versorgungsbedarf kompensiert werden. Der Vortrag zeigt den aktuellen Stand der Entwicklung und Trends auf, fasst Chancen und Risiken für Automatisierung und Digitalisierung auf und stellt die Frage nach einer Vision für die Gesundheitsversorgung der Zukunft. 

Präsentation_Prof. H. Becker_Visionen

Visionen als Thema der Malerei bei Hiernonymus Bosch

  • Dr. Stefan Fischer
    Kunstgeschichte, Bertha-von-Suttner-Gymnasium, Andernach 
  • 31. Mai 2017

Oft lösen seine Bilderfindungen Kopfschütteln, Assoziationen von Wahn und finsteren Epochen aus. Doch ist seine Kunst nüchtern und ausgeklügelt. Seine Bilder breiten die vielfältige Gefährdung der menschlichen Existenz vor dem Betrachter aus, damit der Gläubige die wahren Werte erkennen kann, die ihn im Diesseits und im Jenseits vor den Mächten des Bösen bewahren. Boschs Triptychen sind eschatologische Visionen epischen Ausmaßes.

Hieronymus Bosch (um 1450/55-1516) war einer der innovativsten unter den niederländischen Malern zur Zeit der Renaissance. Fern der großen Kunstzentren gehörte er in seiner Heimatstadt 's-Hertogenbosch zur Elite, organisiert in der Liebfrauenbruderschaft. Er war von reformchristlichen Ideen und einem frühhumanistischem Erziehungsideal wie auch vom bürgerlich-merkantilen Leistungsgedanken geprägt.