Universität für alle Collegium generale

Menschen und andere Primaten

Vorlesungsreihe im Herbst 2016

Affe und Mensch – das ist ein schwieriges Verwandtschaftsverhältnis. Genetisch und im Verhalten sehr nah, wird der Affe vom Menschen seit Jahrhunderten als Spiegel betrachtet. Im 20. Jahrhundert gewann die Forschung an und mit Affen rasant an Bedeutung. Seit der Jahrtausendwende hat kein anderes Tier derart an diskursiver Präsenz gewonnen, und die Wissenschaften wenden sich mit neuen kritischen Ansätzen dem Alter Ego des Menschen zu. Aus der Beobachtung unserer nächsten Verwandten erwarten wir Erkenntnisse über unsere Evolution und unser Verhalten, und die Erzählungen von der Herkunft und von den Herausforderungen des Mensch-Seins sind über disziplinäre Grenzen hinaus von Interesse. Die Vorlesungsreihe erkundet die Bedeutungen der Affen und anderer Tiere aus Sicht verschiedener Disziplinen: Primatologie, Vergleichende Psychologie, Kognitionsforschung, Evolutionäre Biologie, Anthropologie, Literatur, Ästhetik und Philosophie.

  • Podiumsdiskussion auf Englisch im Vortragssaal des Naturhistorischen Museums 
  • Moderation: Prof. Dr. Markus Wild, Philosophisches Seminar, Universität Basel 
  • 27. September 2016

Speakers:

Roland Borgards, University of Würzburg
Josep Call, MPI for Evolutionary Anthropology, Leipzig
Hans-Johann Glock, University of Zurich
Susan Healy, University of St Andrews
Carel van Schaik, University of Zurich
Andrew Whiten, University of St Andrews
Frans de Waal, Emory University

  • Prof. Dr. Frans de Waal
    Developmental and Cognitive Neuroscience, Emory University
  • 28. September 2016

Despite the mechanistic view of animals that prevailed during last century, an undercurrent of scientists nourished a more cognitive approach. Initially, their research was ridiculed and suppressed, while a firm taboo was placed on anthropomorphism. They were told to favor simple explanations of behavior. From a Darwinian perspective, however, the simplest assumption about related species (such as humans and apes) isthat behavioral similarity is based on psychological and mental similarity. Cognitive continuity ought to be the default assumption. Neuroscience increasingly supports homologies, and human uniqueness claims have fallen one by one. Other primates are now being depicted as political, cultural, even moral beings. The wall between human and animal cognition has begun to resemble a Swiss cheese. This cognitive revolution is not limited to the primates, however. It is rippling across the entire animal kingdom, from tool-using crows to cooperating fish. Many unexpected new capacities have come to light, such as that animals monitor their own knowledge (metacognition) or reflect on past and future (time travel). Many cognitive capacities are the product of convergent evolution, which means they do not fit a one-dimensional scale from “lower” to “higher” forms. Instead of universal learning mechanisms that apply to all animals equally, we see highly variable cognitions connected to the ecological context of each species. I will provide an overview of the methods and findings of this new science, called evolutionary cognition, with an accent on primates and elephants and my own specialization in cooperation and empathy. The central message is one of cognition on demand.

 

  • Prof. Dr. Virginia Richter
    Englische Sprachen und Literaturen, Universität Bern
  • 5. Oktober 2016

In der europäischen Literatur der Neuzeit fungieren Affen, aufgrund ihrer gleichzeitigen Ähnlichkeit und Differenz, als Denkfiguren, anhand derer der Mensch über seine eigene Identität, seine Besonderheit, sein Verhältnis zum Tier und seine Stellung in der Natur reflektiert. Insbesondere seit dem frühen neunzehnten Jahrhundert häufen sich literarische Texte, in denen die Verwechselbarkeit der Primaten ausgestellt und damit die Einzigartigkeit des Menschen in Frage gestellt wird. Diese für Homo sapiens, bis dahin die unangefochtene ‚Krone der Schöpfung‘ und Herr über seine Mitgeschöpfe, äusserst beunruhigende Nähe wird durch Charles Darwins Postulat, Menschen und andere Primaten würden von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, noch weiter verschärft. In den letzten Dekaden des neunzehnten Jahrhunderts dominieren daher Romane und Erzählungen, die die menschliche ‚Affen-Angst‘ zum Ausdruck bringen, also die Angst vor Regression in einen vorzivilisatori­schen und vormenschlichen, affenähnlichen Zustand. In der modernistischen Literatur nach 1900 hingegen wird die Möglichkeit, zum Affen zu werden, als Befreiung von den Zwängen der Zivilisation gesehen. Der Vortrag zeichnet diese literaturhistorische Entwicklung nach und stellt einige Schlüsseltexte ins Zentrum, so etwa Jonathan Swifts Gulliver’s Travels, Robert Louis Stevensons Strange Case of Dr Jekyll and Mr Hyde und Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“.

 

  • Prof. Dr. Michael Taborsky
    Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern 
  • 12. Oktober 2016

Menschen zeigen ein grosses Interesse an ihrer Besonderheit unter den Tieren. Forscher verschiedener Disziplinen bemühen sich, dieser Besonderheit auf den Grund zu gehen. Dabei erweist sich dieses Unterfangen paradoxerweise umso schwieriger, je besser wir tierisches Verhalten verstehen lernen. Anthropologen, Psychologen, Philosophen und Primatenforscher sind sich darin aber weitgehend einig, dass sich die Besonderheit des Menschen vor allem in seinem hochentwickelten Sozialverhalten ausdrückt. Die Fähigkeit zur Kooperation und Arbeitsteilung charakterisiert menschliche Gesellschaften und begründet ihren ökologischen Erfolg. Wo liegen die Wurzeln für diese soziale Kompetenz? Dieser Vortrag hat zum Ziel, die evolutiven Grundlagen kooperativen Verhaltens zu beleuchten. Dabei werden sowohl alternative Mechanismen zur Etablierung evolutionsstabiler Zusammenarbeit erläutert, als auch mit Hilfe von Beispielen aus verschiedenen Tiergruppen die Wurzeln menschlicher Sozialität illustriert.

 

  • Prof. Dr. Markus Wild
    Philosophisches Seminar, Universität Basel
  • 19. Oktober 2016

Im Jahr 1993 wurde das sog. „Great Ape Project“ (GAP) lanciert, in dem Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Herkunft Grundrechte für Menschenaffen fordern. Dazu gehören das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Leben und der Schutz der individuellen Freiheit. Im Jahr 2008 wurde diese Idee in Spanien und 2011 in Deutschland auf nationaler Ebene lanciert. In diesem Jahr hat eine Gruppe im Kanton Basel die Initiative „Grundrechte für Primaten“ lanciert. Im Vortrag „Grundrechte für Primaten“ soll kurz die Geschichte der Idee, dass Menschenaffen oder alle Affen Grundrechte benötigen, skizziert werden. Dann sollen die ethischen Argumente, die dieser Idee zugrunde liegen, analysiert werden. Abschliessend wird ein Blick in die Zukunft gewagt.

 

  • Prof. Dr. Alicia Melis
    Behavioural Science, University of Warwick, Coventry
  • 26. Oktober 2016

Chimpanzees are known to cooperate in the wild in a wide range of contexts. I will summarize recent studies designed to investigate the psychological mechanism underlying chimpanzees’ cooperative behaviour. I will first focus on collaborative interactions, individuals working together to obtain mutually beneficial goals. More specifically, I will address: (a) whether or not chimpanzees can intentionally coordinate their efforts to reach otherwise inaccessible goals, (b) how they distribute resources acquired through collaboration, and (c) their main limitations when it comes to the cooperative acquisition of resources. I will also highlight, where appropriate, the differences to the results from similar studies conducted with young children. The evidence so far suggests that chimpanzees’ main limitation to working collaboratively is not cognitive bur rather motivational and related to their low inter-individuals tolerance levels in food-related contexts. In the second part of the talk I will focus on prosocial behaviour, and provide evidence suggesting that chimpanzees share with humans the basic motivations and skills necessary to altruistically help others in situations in which they cannot selfishly benefit.

  • Prof. Dr. Winfried Menninghaus
    Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, Frankfurt
  • 2. November 2016

Nach Darwin ist die nackte Haut das kardinale "Ornament" des menschlichen Körpers. Der Vortrag berichtet zunächst empirische Studien zur ästhetischen Wirkung dieses Ornaments, das mehr als jedes andere Körpermerkmal unsere Entfernung von den nicht-menschlichen Primaten markiert. Anschließend werden Überlegungen dazu vorgestellt, warum die Entwicklung des Menschen zur nackten Haut zur Entstehung der visuellen Künste und sogar der ästhetischen "Imagination" beigetragen hat.

  • Prof. Dr. Klaus Zuberbühler
    Institut de Biologie, Universität Neuchâtel
  • 9. November 2016

Menschen sind ungewöhnliche Affen. Sie bauen Städte, tauschen Gegenstände, machen Kunst, glauben an unsichtbare Mächte und kommunizieren mit komplexer Sprache. Und trotzdem hatten wir und die Schimpansen vor nicht allzu langer Zeit einen gemeinsamen Vorfahren, von dem beide Arten direkt abstammen. Unser Forschungsziel ist es, die natürliche Sprache der Affen zu beschreiben, damit wir so besser verstehen können, auf welcher biologischen Basis sich die menschliche Sprache entwickelt hat. Dazu arbeiten wir hauptsächlich in den afrikanischen Regenwäldern, dem natürlichen Habitat von vielen Affenarten. Wenn immer möglich, versuchen wir unsere Beobachtungen mit einfachen Feldexperimenten zu ergänzen, um so Schritt für Schritt die verschiedenen Affensprachen zu entschlüsseln. In diesem Vortrag werde ich einige Ergebnisse unserer Forschungstätigkeiten vorstellen und versuchen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Menschensprache und Affensprachen aufzuzeigen.

  • Prof. Dr. Daniel Haun
    Institut für Bildungswissenschaften, Universität Leipzig
  • 16. November 2016

Der Mensch ist ein kulturelles Wesen. Die menschliche Psyche erschafft Kultur und wird gleichzeitig auf grundlegende Weise durch sie geformt. So ist die Betrachtung der menschlichen Psyche ohne Berücksichtigung des kulturellen Kontextes im besten Fall unvollständig und im schlechtesten Fall irreführend (Haun & Nielsen 2016). Aber ist die Fähigkeit zur Kultur,zur Schaffung und Erhaltung von Traditionen, zur Entwicklung Gruppenspezifischer Verhaltensrepertoires einzigartig menschlich?

Obwohl die interkulturelle Variabilität unter Menschen im Tierreich einzigartig ist, haben Langzeitstudien gezeigt, dass auch nicht-menschliche Tiere Gruppen bilden, die sich in Ihrem Verhaltensrepertoire voneinander unterscheiden (Luncz, Mundry & Boesch, 2012; Schaik, Ancrenaz, Borgen, Galdikas, Knott, Singleton, Suzuki, Utami & Merrill, 2003). In einer Schimpansenauffangstation in Sambia leben ca. 100 Schimpansen in 4 Gruppen zusammen. Diese Gruppen gleichen sich auf viele Arten und Weisen: Alle leben unter identischen ökologischen Umständen, einige der Gruppen sind gleich groß, haben ähnlich viele Jungtiere und vergleichbare Anteile an Männchen und Weibchen. Nichts desto trotz unterscheiden sich diese vier Gruppen, auf gewisse Weise ähnlich kultureller Unterschiede zwischen menschlichen Gruppen, in ihren sozialen Verhaltensweisen. Diese Unterschiede sind über die Zeit hinweg stabil und übertragen sich von einer Generation zur nächsten. Die Untersuchung der Variabilität menschlichen Verhaltens in verschiedenen sozialen und ökologischen Kontexten hat entscheidend dazu beigetragen zu verstehen, welche Eigenschaften den Menschen zum Menschen machen. Das Verständnis der Verhaltensvariabilität zwischen verschiedenen Schimpansengruppen wird gleichsam dabei helfen, zu definieren, was Schimpansen zu Schimpansen macht.

  • Prof. Dr. Julia Fischer
    Leibniz-Institut für Primatenforschung, Göttingen
  • 23. November 2016

Um die evolutionären Ursprünge menschlichen Verhaltens zu verstehen, bedient sich die Forschung des vergleichenden Ansatzes. Die Studien der vergangenen Dekaden haben dabei einiges Licht sowohl in die Gemeinsamkeiten von Menschen und (anderen) Affen gebracht, aber auch ein klareres Bild ergeben, was menschspezifische Eigenschaften sind. Während Menschen wie ihre nächsten Verwandten hoch soziale Wesen sind, gibt es in Bezug auf Sprachfähigkeit und abstraktes Denken fundamentale Unterschiede. Zu erklären ist dabei, wieso zwar simple kognitive Bausteine geteilt sind, sich die letztendlichen kognitiven Fähigkeiten aber so profund unterscheiden. Ich werde in meinem Vortrag sowohl auf Kontinuitäten eingehen wie auf die Unterschiede und diskutieren, in welchem Zusammenhang Sozialverhalten und Kognition stehen. 

  • Prof. Dr. Hanno Würbel
    Abteilung Tierschutz, Universität Bern
  • 30. November 2016

Unsere Beziehung zu Tieren war schon immer eine zwiespältige. Einerseits nutzen wir Tiere für vielfältige Zwecke – als Heimtiere, in Freizeit und Sport, zur Nahrungsmittelgewinnung, als Versuchstiere in der Forschung. Andererseits betrachten wir sie als Mitgeschöpfe, deren Würde und Wohlergehen wir gesetzlich unter Schutz stellen liessen. Nirgends tritt dieser Widerspruch eklatanter zu Tage als bei Tierversuchen, bei denen Würde und Wohlergehen von Tieren scheinbar vorsätzlich zurückgedrängt werden. Zur Lösung dieses Konflikts bedienen wir uns der Güterabwägung. Nur Versuche, bei denen der Nutzen die Belastungen der Tiere überwiegt, sind überhaupt genehmigungsfähig. Doch dies stellt uns nicht nur aus ethischer Sicht vor grosse Herausforderungen – dürfen wir das überhaupt und wo bleibt dabei die Würde der Tiere? Auch aus naturwissenschaftlicher Sicht stellen sich schwierige Fragen – wie lassen sich Belastungen von Tieren zuverlässig erfassen und gewichten, wie der Nutzen von Tierversuchen bestimmen? Und wie sollen wir neutral und objektiv urteilen, wo doch unsere eigenen Interessen auf dem Spiel stehen, wo uns das Mitgefühl mit (manchen) Tieren die rationale Sicht verstellt? Es gibt keine abschliessenden Antworten auf diese Fragen, trotzdem müssen wir uns ihnen stellen und nach bestem Wissen und Gewissen urteilen. Als Biologe und Tierschutzforscher versuche ich hierfür Konzepte zu entwickeln und Wissen zu schaffen, um damit die oft sehr emotional geführten Tierschutzdebatten auf eine sachliche Grundlage zu stellen.

  • Prof. Dr. Walter Bauer-Wabnegg
    Präsident, Universität Erfurt, Fakultät Kunst und Gestaltung, Bauhaus-Universität Weimar
  • 7. Dezember 2016

Affe oder Mensch? Um diese spannende Frage tanzen wir Menschen seit eh und je quer durch die Kulturen und Zeiten einen narrativen Ringelreigen und unternehmen wir die merkwürdigsten Aktivitäten, erkennbar fasziniert von unserem biologischen Gegenüber. Same, but different. Genau darin liegt anscheinend der besondere Reiz. Von Zoo über Zirkus und Varieté bis hin zu Malerei, Literatur, Bühne und Groschenroman oder Film. Wir Menschen beschäftigen uns eben gern mit Affen. Nachdem die Ringvorlesung „Menschen und andere Primaten“ bereits eine anregend-beeindruckende Reihe unterschiedlicher wissenschaftlich-thematischer Perspektiven eröffnet hat, will dieser Vortrag in erster Linie Geschichten erzählen und den Themenraum narrativ erkunden.

  • Prof. Dr. Raymond Corbey
    Archäoligsche Fakultät, Universität Leiden
  • 14. Dezember 2016

This talk traces changing interpretations of the human-like great apes and ape-like earliest ancestors of present-day humans. It shows how from the days of Linnaeus to the present, the sacred and taboo-ridden animal-human boundary was constantly (con-)tested, and how the unique "dignity" of humans, a central value in the West, was, and to some extent still is, on the minds of taxonomists, ethnologists, primatologists, and archaeologists - to the detriment of other species.