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Liebe und Freundschaft – FS 2023

Bild Liebesschlösser am Geländer

Im neu angebrochenen Zeitalter der Digitalität und der Diversität sind neben den alten auch neue Forschungsfragen entstanden. Was bedeutet die breite Nutzung von Dating-Apps und digitalen Plattformen für die Partner:innen-Suche? Wie kam es zum Aufstieg der romantischen Liebe und lassen sich Freundschaft und Liebe überhaupt klar trennen? Wie wird Liebe in Japan, Deutschland, Ghana oder der Schweiz gelebt?

Warum wird Liebe manchmal versteckt oder auch als Freundschaft ausgegeben? Wo sind die Grenzen des Privaten: Inwiefern wird Liebe staatlich und gesellschaftlich reguliert und manchmal verhindert? Welchen Beitrag haben Gerüche und biologische Faktoren im Zustandekommen von Beziehungen? Wie wird über Liebe und Freundschaft als soziale Realität gesprochen, und wie hingegen als psychische Realität?
Die Vorlesungsreihe präsentiert dazu nicht nur jüngste Forschungsergebnisse – sie führt auch in wichtige neue Ansätze und Fragestellungen ein, die Forschende in verschiedenen Disziplinen (u.a. der Soziologie, Psychologie, Geschichtswissenschaft, Biologie, der Sozialanthropologie) derzeit verfolgen.

Programm_Liebe_und_Freundschaft.pdf
Podcasts der Reihe "Liebe und Freundschaft"
 

Vorlesungen der Reihe "Liebe und Freundschaft"

  • Prof. Dr. Eva Illouz
    Soziologie und Anthropologie, Hebräische Universität Jerusalem
    22. Februar 2023


Auf Wunsch der Referentin ist der Videopodcast nur für Studierende auf Ilias zugänglich.

  • Dr. Nora Kreft
    Philosophie, University of Winchester
    1. März 2023

In Literatur und Film wird Liebe oft als Katalysator für sozialen Wandel dargestellt. Shakespeares Romeo und Julia ist das vielleicht berühmteste Beispiel dafür: Die Kinder zweier verfeindeter Familien aus Verona verlieben sich ineinander und brechen mit den sozialen Normen ihres Umfelds, um zusammen zu sein. Auch wenn ihre Hoffnungen und Pläne scheitern und sie zum Schluss aus Verzweiflung sterben, verändern sie doch die Verhältnisse und ihre Eltern schließen endlich Frieden. 
In diesem Vortrag will ich zunächst fragen, welches Bild Shakespeare von Liebe, Normbrüchen und sozialem Wandel zeichnet: Was genau geschieht zwischen Romeo und Julia? Warum verlieren die herrschenden Strukturen ihre Autorität über sie, nachdem sie sich getroffen haben? Und warum verändert sich dadurch auch ihr Umfeld - warum wird am Ende ein uralter Zwist beigelegt, den noch nicht einmal der Fürst von Verona schlichten konnte? Mithilfe der Überlegungen zum Stück werde ich schließlich grundlegender über die moralisch-politische Bedeutung von Liebe nachdenken. 

Auf Wunsch der Referentin ist der Videopodcast nur für Studierende auf Ilias zugänglich.

  • Prof. Dr. Caroline Arni
    Geschichte, Universität Basel
    8. März 2023

Der Vortrag zeichnet anhand exemplarischer Äusserungen die Geschichte der Freundschaft in den vergangenen vier Jahrhunderten nach. Dabei werden vier verschiedene Argumente entfaltet: 1. Ein eigentümlicher Umstand kennzeichnet die Geschichte der Freundschaft: Sie wird immer wieder als ein unerreichbares Ideal dargestellt, während zugleich Freunde und Freundinnen ganz selbstverständlich immer da sind. 2. Wenn Freundschaft artikuliert wird, so geht es immer auch darum, personale Beziehungen und soziale Verhältnisse zu verfassen. 3. Freundschaft wird immer im Verhältnis zu anderen Beziehungsformen entworfen. 4. Die Figur der Freundschaft ist in den kanonischen Diskursen androzentrisch verfasst - und doch (oder gerade deswegen) nutzen Frauen sie, um sich als Subjekte zur Geltung zu bringen und Teilhabe einzufordern.

Auf Wunsch der Referentin ist der Videopodcast nur für Studierende auf Ilias zugänglich.

  • Dr. Paulus Kaufmann
    Japan Zentrum, Ludwig-Maximilians-Universität
    15. März 2023

Der Begriff der Liebe hat sich in Japan über Jahrhunderte weitgehend unabhängig von westlichem Einfluss entwickelt. Das macht Japan zu einem interessanten Vergleichsobjekt: Wie ist die Liebe in Japan verstanden worden? Wie äußert sich dieses Verständnis in gesellschaftlichen Praktiken? Welche Fragen und Probleme der Liebe werden diskutiert? Der Vortrag konzentriert sich auf die buddhistische Kritik der Liebe im japanischen Mittelalter. Während die buddhistische Orthodoxie empfiehlt, die Liebe als eine Form der Begierde zu überwinden, suchen japanische Literat*innen nach einer positiven Rolle für die individuelle Zuneigung. Dabei werfen sie philosophische Fragen auf, die in Ost und West auch heute noch aktuell sind.

  • Prof. Dr. Claus Wedekind
    Ökologie und Evolution, Université de Lausanne
    22. März 2023

Was man bei aller Romantik vielleicht nicht wahrhaben will, aber bestimmte Gene beeinflussen Partnerwahl und Reproduktion bei Mensch und Tier. Die sogenannten “MHC" Gene spielen hier eine Schlüsselrolle. Diese Immungene beeinflussen Körpergerüche und Geruchspräferenzen. Wir arbeiten seit über 25 Jahren experimentell an diesem Thema und fanden MHC-abhängige Geruchspräferenzen bei Männern und Frauen, MHC-abhängige Verschmelzung von Ei und Spermium bei der Maus, und MHC-abhängige Reproduktionsstrategien bei Pferdestuten und Hengsten. Ich werde diese Forschung zusammenfassen und zeigen, wieso sich die Bedeutung solcher MHC-abhängige Präferenzen beim Menschen im Laufe der Zeit verändert haben muss, und wie bestimmte Schwangerschaftsprobleme in diesem Zusammenhang gedeutet werden könnten.

  • Prof. Dr. Anne Lavanchy
    Haute école de travail social Genève
    29. März 2023

Die Vorlesung fand wegen Erkrankung der Referentin nicht statt.

  • Dr. Serena O. Dankwa
    Sozialanthropologie, Universität Basel
    5. April 2023

Nicht die Homo-Ehe, sondern der Begriff der Freundschaft ist von zentraler Bedeutung, wenn Frauenliebende Frauen aus der ghanaischen Arbeiterschicht über ihre Intimitäten reden. Mit dem Fokus auf Liebesbeziehungen, die von den Involvierten selbst als (erotische) Freundinnenschaften und als eine Form des verkörperten Wissens verstanden werden, hinterfragt dieses Referat, sowohl normative Vorstellungen von Liebe und Romantik und als auch die analytischen Grenzen zwischen Freundschaft, Familie und Sexualität. Aus einer feministisch-postkolonialen Perspektive geht es zudem auch darum, inwiefern sich «queere» Liebesgeschichten afrikanischer Frauen in der postkolonialen Schweiz erzählen lassen, ohne dabei zur S/exotisierung Schwarzer Frauen beizutragen. 

 

 

  • Prof. Dr. Carolyn Morf
    Psychologie, Universität Bern
    19. April 2023

Narzissmus wird immer wieder zum Diskussionsthema in den Medien sowie Gesprächen des privaten Umfelds. Dabei wird nicht selten die These aufgestellt, Narzissmus sei ein Ausdruck übertriebener Liebe zum Selbst. Der Vortrag soll diese und weitere Fragen aufgreifen und mittels Perspektive aktueller psychologischer Forschung beleuchten. Zuerst wird aufgezeigt, wie die Psychologie Narzissmus definiert und abgrenzt von verwandten Konzepten wie Selbstwert. Danach werden motivationale Aspekte, die Narzissmus antreiben erörtert. Dazu wird ein theoretisches Rahmenmodell hinzugezogen, welches Narzissmus als Resultat charakteristischer Selbstregulationsstrategien im Verfolgen von bestimmten Selbstzielen verstehen lässt. Theoretische Überlegungen werden mit ausgewählten Beispielen aus der empirischen Forschung dargelegt. Abgerundet wird der Vortrag mit Implikationen für Theorie und Anwendung.

  • Prof. Dr. Thomas Klein
    Soziologie, Universität Heidelberg
    26. April 2023

Die Vorlesung fand wegen Erkrankung des Referenten nicht statt.

  • Dr. Sabine Hohl
    Philosophie, Universität Basel
    3. Mai 2023

Romantische Beziehungen geniessen einen besonderen rechtlichen und gesellschaftlichen Status, den Freundschaften nicht haben. Rechtlich äussert sich dies darin, dass es für romantische Beziehungen eine rechtliche Institution gibt: die Ehe. Diese ist zudem mit dem Aufziehen gemeinsamer Kinder verbunden. Auf der gesellschaftlichen Ebene erhalten romantische Beziehungen ebenfalls Priorität. Man fragt einander oft: Hast du eine Partnerin oder einen Partner? Kaum jemand fragt: Mit wem bist du befreundet? Wie läuft es in deinen Freundschaften? Das führt dazu, dass die meisten Menschen viel Energie in romantische Beziehungen investieren, die mitunter für Freundschaften fehlt. Wenn jemand Single ist, wird dieser Status zudem als temporär und defizitär angesehen. Die Vorlesung fragt: Ist die gesellschaftliche Bevorzugung romantischer Liebe gerechtfertigt? Oder sollten Freundschaften als ebenso wichtig betrachtet werden wie romantische Beziehungen?

  • Prof. Dr. Janine Dahinden
    Sozialwissenschaften, Université de Neuchâtel
    10. Mai 2023

Der Vortrag gibt einen Einblick in die Meditationsforschung und zeigt auf, inwieweit Forschungsarbeiten zu diesem Thema auch einen Beitrag zur Frage nach dem Bewusstsein leisten können. Bei der Beschäftigung mit dem Thema Meditation zeigt sich, dass dies kein Forschungsgegenstand wie jeder andere ist und unser gängiges Wissenschaftsverständnis in mehreren Aspekten in Frage gestellt wird. Es geht hier unter anderem, um das Problem der Integration der sogenannten Ersten-Person-Perspektive, also den Erfahrungen der Meditierenden, die keiner direkten Beobachtung zugänglich sind.

Im Vortrag wird zunächst versucht ‚Meditation‘ in wissenschaftlich zugängigen Kategorien zu erfassen. In einem nächsten Schritt werden einige neurowissenschaftliche Befunde der Meditationsforschung vorgestellt und diese in einem kritischen Kontext diskutiert, der auch die sozialen Funktionen von Wissenschaft aufgreift. Anschließend wird an einem empirischen Beispiel gezeigt, wie sich unter dem Begriff der ‚Neurophänomenologie‘ die Berichte erfahrener Meditierender mit neurowissenschaftlichen Zugängen gewinnbringend kombinieren lassen. Das Libet-Experiment, das oft mit der Problematik des freien Willens assoziiert wird, wurde mit Meditierenden durchgeführt. Insbesondere ein sehr erfahrener Meditierender konnte dabei mit seinen Berichten das Verständnis für das Zustandekommen von Entscheidungsprozessen verbessern. Im vierten und letzten Teil wird das Thema eines nichtdualen Bewusstseins aufgegriffen.

  • Dr. Janosch Schobin
    Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel
    17.5.2023

An Beschreibungen der Einsamkeit spätmoderner Gesellschaften mangelt es im gegenwartsdiagnostischen Diskurs der Sozialwissenschaften nicht: Modernisierungsprozesse wie Säkularisierung und Rationalisierung, Industrialisierung und Urbanisierung, Beschleunigung und Globalisierung, Individualisierung und Digitalisierung stehen im Verdacht, es sozialen Bindungen schwer zu machen, sich über die Zeit zu stabilisieren. Aus der Dynamisierung der Nahwelt, so die These, resultiere eine „Epidemie“ der Einsamkeit. Gleichzeitig gelten Modernisierungsprozesse in vielen Hinsichten als soziale Heilsbringer: Sie reduzieren Armut, mehren den Wohlstand und ermöglichen eine immer freiere Entfaltung der Einzelnen. Gerade indem sie die traditionellen Bindungen an Familie, Klasse, Religion und Staat destabilisieren, machen sie auch frei für die Art von Beziehungen, die Einsamkeit unterbinden: hochqualitative, gewaltfreie Wahlbeziehungen, die auf wechselseitiger Zuneigung basieren. Der Vortrag nähert sich dieser Kontroverse indem er fragt, welche theoretischen Überlegungen und empirischen Befunde für und wider die These von der Zunahme der Einsamkeit durch die Dynamisierung von Bindungsbiographien sprechen.

  • Prof. em. Dr. Michael Taborsky
    Ökologie und Evolution, Universität Bern
    24. Mai 2023

Die griechische Philosophie der Antike unterscheidet drei elementare Formen von Liebe: Eros (die begeh­rende Liebe), Philia (die freundschaftliche Liebe) und Agape (die selbstlose Liebe). Für alle drei Formen der im Gefühl begründeten Zuneigung, die Liebe auszeichnet, lassen sich biologische Grundlagen aus durch na­türliche Selektion hervorgegangenen Verhaltensmerkmalen herleiten. Dies lässt sich mithilfe verschiedenster Beispiele aus der Tierwelt illustrieren. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die unterschiedlichen Selekti­onsmechanismen gelegt werden, die den verschiedenen Formen von Zuneigung, Grosszügigkeit und Altruis­mus zugrunde liegen und damit die biologische Grundlage bilden für diejenigen Momente im Leben, die wir wohl allgemein als die glücklichsten ansehen.

 

 

  • Dr. Kirsten Plötz
    Historikerin, Koblenz
    31. Mai 2023

Eine mögliche Grenze zwischen enger Frauenfreundschaft und erotischer Liebe unter Frauen wäre die Sexualität. Doch dies ist, angewandt auf Handlungen unter Frauen, keine einfache
Kategorie. Historische Quellen sagen wenig bis nichts darüber aus. Und von welchem Maß an Selbstbestimmung können wir dabei ausgehen? Dass Frauen ein Leben führten, in dem ihr
eigenes Begehren und ihre eigenen Wünsche zentral waren, war kaum vorgesehen. Vorbilder für lesbische Liebe gab es kaum. Innigkeit, Liebe, ein gemeinsames Leben sind wichtigere Faktoren
als Sexualität, um eine enge Beziehung unter Frauen zu beschreiben.