Universität für alle Collegium generale

Das Ende denken – FS 2022

Bild einer Sackgasse
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Der Mensch ist das Wesen, das ans Ende denken kann – an das Ende einer Beziehung, an das Ende des eigenen Lebens, der Menschheit, der Welt. Manchmal wird das Ende herbeigesehnt, etwa wenn es um eine Pandemie geht. Oft ist die Vorstellung des Endes aber auch mit negativen Gefühlen wie Angst verbunden.

Doch in jedem Fall erlaubt uns das gedankliche Vorwegnehmen des Endes, die Zeit bis dahin zu nutzen, das Ende zu gestalten, vielleicht sogar zu einem Neuanfang umzudeuten. 

Die Ringvorlesung des Collegium generale stellt die Frage, wie wir heute in unterschiedlichen Bereichen das Ende denken. Dabei geht es vor allem um das Ende von Dingen oder Zeitabschnitten, die uns wichtig sind. Wie wird heute etwa das Lebensende gestaltet? Wie endet eine geschichtliche Epoche oder eine biologische Art? Welche Vorstellungen über das Ende der menschlichen Zivilisation finden wir in der Literatur? Und was sagen schliesslich unsere Vorstellungen über die kleinen und grossen Enden über uns selbst und unsere Zeit?

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Podcasts der Reihe "Das Ende denken"

Vorlesungen der Reihe: "Das Ende denken"

  • PD Dr. Christian Althaus
    Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern
    23. Februar 2022

Die Coronavirus-Pandemie hält die Schweiz und die gesamte Welt seit nunmehr zwei Jahren in Atem. Doch wann ist eine Pandemie zu Ende? Auf diese Frage gibt es aus politischer, gesellschaftlicher, gesundheitlicher oder epidemiologischer Perspektive durchaus unterschiedliche Antworten. In meinem Vortrag werde ich einen Blick auf vergangene Pandemien werfen, von der Russischen Grippe im 19. Jahrhundert bis zur Influenza-Pandemie im Jahr 2009. Anschliessend zeige ich auf, wie man mittels einfacher mathematischer Modelle den langfristigen Verlauf einer Infektionskrankheit beschreiben kann und erläutere, inwiefern uns das Coronavirus auch in Zukunft beschäftigen wird.

  • Dr. Heinz Rüegger (anstelle von Prof. Dr. Isabelle Noth)
    2. März 2022

Menschen wünschen sich ein gutes Lebensende, ein Sterben in Würde. Dabei spielt das Konzept des selbstbestimmten Sterbens eine wichtige Rolle und ist inzwischen zum neuen Paradigma des Sterbens unter den Bedingungen eines modernen Gesundheitswesens geworden. Das bringt ein Mehr an Freiheit, aber auch an Verantwortung und möglicher Überforderung mit sich. In der Vorlesung wird aus einer ethischen Perspektive danach gefragt, welche Herausforderungen sich stellen, damit Selbstbestimmung gelebt und ein möglichst gutes Sterben in Würde realisiert werden kann.

  • Prof. Dr. Heinz-Peter Schmiedebach
    Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin, Charité Universitätsmedizin Berlin
    9. März 2022

Der Tod eines Menschen bedeutet eine unwiderrufliche Auflösung der Einheit des lebendigen Körpers in seinen materiellen, sozialen und spirituellen Beziehungen. Der Leichnam wurde und wird durch unterschiedlichste Rituale seit Jahrtausenden in kulturelle Erinnerungs- und Bewahrungszusammenhänge überführt. Davon unabhängig bemächtige sich die Medizin (Anatomie) seit Jahrhunderten und später auch die Anthropologie der Leichen und Leichenteile, um diese zu Erkenntniszwecken zu vermessen, zu zergliedern und neu zu ordnen. Mit dem Kolonialismus erhielt die Wissenschaft einen erweiterten Zugriff auf menschliche Köperteile aus der ganzen Welt, die meistens nicht vor Ort erforscht, sondern unter Verletzung der Interessen der indigenen Völker in die wissenschaftlichen Metropolen transportiert und dort zergliedert, in Sammlungen zusammengefasst oder auch in Museen ausgestellt wurden. Diese Forschungen dienten auch dazu, Hierarchien und Wertigkeiten zwischen menschlichen Ethnien zu begründen und zu stabilisieren und so neue rassistische Ordnungen zu propagieren.
Im Beitrag wird die enge Verschränkung von Kolonialismus und Wissenschaft als Ressourcen füreinander erörtert sowie die aufgrund der Forderungen nach Rückgabe der sterblichen Überreste entstandenen postkolonialen Bemühungen um Repatriierung von menschlichen Körperteilen diskutiert. Die menschlichen Körperteile mit den durch die Wissenschaft im Kolonialismus erfolgenden Neukontextualisierungen und Transformationen zu „epistemischen Objekten“ sowie ihre Rückgabe stehen im Zentrum der Ausführungen. Die „Human Remains“ verorten sich in einem historisch gewebten Netz von kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Kontexten, das verschiedene Bedeutungszuweisungen offenbart und Handlungsmöglichkeiten erschließt.   

Aus Rücksicht von Copyright gibt es keinen Podcast.

  • Prof. Dr. Michael Stausberg
    Departement für Archäologie, Geschichte, Kultur- und Religionswissenschaft, Universität Bergen
    16. März 2022

Wie Sprachen, politische Systeme, Musik- oder Sportarten können auch Religionen von einer lebendigen Wirklichkeit in das Archiv der Geschichte wandern. In diesem Vortrag werde ich folgende drei Facetten dieses Themas beleuchten: Religiozide und Programme der Religionsvernichtung, Rhetoriken des drohenden Untergangs und bedrohte Religionen, und Religionsuntergang vs. religiöse Transformation.

Aus Rücksicht von Copyright gibt es keinen Podcast.

  • Prof. Dr. Stefan Rebenich
    Historisches Institut, Universität Bern
    23. März 2022

„Die Krisis des Römischen Reiches ist nicht abzuschneiden“, stellte Jacob Burckhardt in seiner Vorlesung „Über das Studium der Geschichte“ einst kategorisch fest. Immer wieder hat die Frage nach den Ursachen des Untergangs des Imperium Romanum Wissenschaftler und Intellektuelle fasziniert. Eine Vielzahl von Modellen und Theorien wurde entwickelt, um diesen welthistorischen Vorgang zu erklären. Aber ist mit dem Römischen Reich zugleich auch die Antike untergegangen? Es wird in dieser Vorlesung zu zeigen sein, dass zwischen dem vierten und sechsten nachchristlichen Jahrhundert wichtige Grundlagen der europäischen Kultur gelegt wurden, die auch in der Gegenwart noch wirkmächtig sind.

  • Prof. Dr. Markus Fischer
    Institut für Pflanzenwissenschaften, Universität Bern
    30. März 2022
  • Prof. Dr. Hansjörg Znoj
    Institut für Psychologie, Universität Bern
    6. April 2022

Ein Beziehungsende markiert ein kritisches Lebensereignis, das nicht nur durch den Bruch einer engen Beziehung charakterisiert ist, sondern eine hohe Anpassungsleistung bezüglich der Lebenssituation und zukünftiger Ziele erfordert. In vieler Hinsicht gleicht die (endgültige) Trennung der Trauerreaktion, wobei der Begriff «Trauer» in der Regel für den Tod einer nahestehenden Person reserviert ist. Psychologisch betrachtet sind jedoch ähnliche Reaktionen zu erwarten und im Vortrag wird begründet, weshalb eine solche Sichtweise berechtigt ist.
Für die Trauer existieren verschiedene Modelle und Vorstellungen, die aber nur teilweise von der empirischen Forschung bestätigt werden. Der Begriff der Trauer ist kulturell geprägt und damit mit vielen Vorstellungen verbunden, die vielfach normativen Charakter aufweisen.
Die Trauerreaktion kann als Störung der psychischen Organisation betrachtet werden. Wenn diese Störung anhält, kann sie sich verselbstständigen. Sie wird seit einigen Jahren als «anhaltende komplexe Trauerreaktion» diagnostiziert. Die Symptome sind ähnlich der «normalen» Trauerreaktion, sie sind aber – genau wie auch die individuellen Reaktionen auf einen Verlust - nicht einheitlich und oft komorbid mit anderen Störungsbildern, vor allem mit der posttraumatischen Störung oder der Depression. Wie bei anderen Störungsbildern (z.B. Angststörungen) sind aufrechterhaltende Faktoren das Ziel einer psychologischen Intervention. Dabei sind Vermeidungsreaktionen (kognitiver oder handlungsorientierter Art), mangelnde Ressourcen, problematische Überzeugungen oder unklare Rollen- oder Identitätsfragen und problematische Beziehungsstrukturen die wichtigsten Faktoren. Die Symptome werden als stressreich erlebt und es ist zentral, dass Interventionen auf die Regulation stressreicher Emotionen inklusive der Unterstützung positiver Emotionen sowie auf die Störung aufrechterhaltende Faktoren fokussieren.

Im Vortrag wird auf eine randomisierte Studie eingegangen, die bei getrennten und verwitweten Personen durchgeführt wurde. In dieser Studie wurde eine webbasierte Intervention eingesetzt, die in beiden Gruppen auf denselben Prinzipien beruhte, nämlich der Aktivierung brachliegender Ressourcen, dem Umgang mit als stressreich erlebten Emotionen sowie dem Aufbau neuer Ziele. Die Ergebnisse zeigen in beiden Gruppen dieselben Effekte, was das Argument stärkt, dass bei sozialen Trennungen unabhängig von der Ursache strukturähnliche Prozesse wirken.

  • Prof. Dr. Tine Stein
    Institut für Politikwissenschaft, Georg-August-Universität Göttingen
    13. April 2022

Klimaveränderung, Artensterben und Ressourcenknappheit: Die ökologischen Krisenerschei­nungen werfen die Frage nach dem Umgang mit Endlichkeit auf – Endlichkeit im doppelten Sinne verstanden: angesichts der Endlichkeit der natürlichen Lebensgrundlagen im Sinne der Erschöpfung natürlicher Ressourcen ist die Aussicht auf ein drohendes Ende der Menschheit nicht mehr nur eine Dystopie düsterer Endzeitphrophetien. Was wir – also die handlungs­fähigen politischen Kollektivsubjekte – tun müssen, um die Klimakrise zu bewältigen, warum und wie wir das tun müssen und inwiefern wir hier einer ethischen Pflicht nachkommen, wird Thema dieser Vorlesung sein. Dabei wird zunächst der Vorwurf zurückgewiesen, dass es sich bei der Annahme einer solchen ethischen Pflicht um „Hypermoral“ handelt, die mit Notwendigkeit in die Haltung der Empörung und einer moralischen Erhebung gegenüber Andersdenkenden führt. Tatsächlich verbirgt sich hinter solchen Vorwürfen zumeist ein Plädoyer für das Weiter-So. Eine ethische Pflicht der Verhaltensänderung kann demgegen­über im Licht eines präskriptiven universalistischen Moralver­ständ­nisses begründet werden. Aber Moral ersetzt keine Politik. Daher gilt es auch zu fragen, wo die Fallstricke einer bloß individual­ethischen Argumenta­tion liegen und welche Kriterien für eine stattdessen genuin politische Ethik gesichert werden können, um die Erfahrung der existentiell bedrohlichen Endlichkeit der natürlichen Lebensgrundlagen politisch zu verarbeiten.

  • Dr. Fernando Esposito
    Neuere und Neueste Geschichte, Universität Konstanz
    27. April 2022

Francis Fukuyama, der bereits im Sommer 1989 den Sieg des Westens und das Ende der Geschichte prophezeite, sollte allzu bald eines Besseren belehrt werden. Wenngleich seine triumphalistische Variante des Endes der Geschichte die wohl bekannteste ist, erschöpft sich das Nachdenken über das Ende der Geschichte keineswegs darin – im Gegenteil. Von Hegel über Gehlen und Gumbrecht bis zum Punk der 1970er Jahre unternimmt der Vortrag einen Streifzug durch die verschiedenen Bedeutungen des Topos „Posthistoire“. Er zeigt, dass das Nachdenken über das Ende der Geschichte mit einer fundamentalen Veränderung der Zeiterfahrung einherging: Die Zukunft verlor ihre Offenheit und die Vergangenheit wie ihre Gespenster kehrten zurück.

Aus Rücksicht von Copyright gibt es keinen Podcast.

  • Prof. Dr. Marianne Kneuer
    Institut für Politikwissenschaft, TU Dresden
    4. Mai 2022
  • Prof. Dr. Karin Harrasser
    Institut für Bildende Kunst und Kulturwissenschaften, Kunstuniversität Linz
    11. Mai 2022

Der Vortrag untersucht den Topos vom "Ende der Welt" in seiner politischen Funktion in der Moderne. Obwohl die Moderne durch ein Zeitmodell gekennzeichnet ist, das Kontingenz und Offenheit der Zukunft der Apokalyptik vorzieht, haben millenarische Katastrophenszenarien ein Nachleben: Die Apokalyptik begleitet beispielsweise die Eroberung Amerikas in einem doppelten Sinne: als Legitimationsdiskurs, der Gewalt und Herrschaft rechtfertigt, und als konkrete Vernichtung Welten des Zusammenlebens, wie etwa der Welt der Inka in den Anden. Als Antwort darauf wird eine Perspektive "nach dem Ende der Welt" entwickelt. Geschichtsschreibung als spekulative Trauerarbeit wird als selbstkritische Form der Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit vorgeschlagen.

  • Prof. Dr. Christian Rohr
    Historisches Institut, Universität Bern
    18. Mai 2022

Vor rund 50 Jahren, am Beginn der 1970er-Jahre, wurde der die ersten Nachkriegsjahr-zehnte prägende Fortschrittsoptimismus, in immer stärkerem Ausmass in Zweifel gezogen, insbesondere hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Umwelt und damit auf die menschli-chen Lebensgrundlagen. Der Bericht des Club of Rome „The Limits to Growth“ (1972) zeich-nete ein düsteres Bild hinsichtlich der Endlichkeit von Ressourcen, aber auch der Versor-gungssicherheit angesichts der prognostizierten demografischen Entwicklungen. Dieser fort-schrittskritische Trend verstärkte sich in den 1980er-Jahren, als das Waldsterben in Europa aufgrund des „sauren Regens“, die massiven Abholzungen in den Tropen und das Ozonloch die Umweltdiskurse prägten. Der UNO-Zukunftsbericht „Our Common Future“ (auch „Brundt-land-Bericht“ genannt, 1987) malte für die Welt in 25 Jahren ein apokalyptisches Bild. Dass diese Prognose nicht eintraf, lag zu einem guten Teil am Fall des Eisernen Vorhangs und der raschen Modernisierung der Industrie in Ostmitteleuropa. Mit den 1990er-Jahren rückte die fortschreitende Klimaerwärmung in den Fokus des Interesses: Die Prognosen für zukünftige Generationen sind in vielfacher Hinsicht düster. Ein besonderes Augenmerk kommt dabei der Macht der Bilder zu, die als „Eco-Images“ eine eigene Wirkmächtigkeit entwickelten: Eis-bären auf einer letzten kleinen Eisscholle, Gletscherbilder einst und heute, welche den ra-santen Gletscherschwund greifbar machen, oder eine medienwirksame Grussbotschaft des Aussenministers von Tuvalu an die Klimakonferenz von Glasgow 2021, bei der er in Ber-muda-Shorts im Wasser steht.

  • Prof. Dr. Katie Mack
    Perimeter Institute for Theoretical Physics, North Carolina State University
    25. Mai 2022

The Big Bang theory tells the story of the beginning of the Universe, our cosmic home for the last 13.8 billion years. But how does the story end? I’ll share what modern astrophysics tells us about the ultimate fate of the cosmos, and what the catastrophic destruction of all reality would look like to anyone still around to see it.

  • Prof. Dr. Eva Horn
    Institut für Germanistik, Universität Wien
    1. Juni 2022

Die Krisen, die die Gegenwart und ihre Zukunftsvorstellungen prägen, sind keine, deren Ende wir uns als großen Knall vorstellen sollten. Insbesondere die ökologischökonomische Metakrise - Klimawandel, Artenschwund, Extremkonsum, Migration, wachsende soziale Ungleichheit etc. - ist eher ein allmählicher, aber desaströser Transformationsprozess. Wir müssen einen neuen Typ von Katastrophe denken lernen, die „Katastrophe ohne Ereignis“. Für die aktuelle ökologische Krise haben Wissenschaftler den Begriff Anthropozän geprägt. Der Vortrag wird diesen komplexen Begriff erläutern und zeigen, dass es mehr Sinn macht, die Gegenwart als eine Schwelle zu verstehen als andauernd im apokalyptischen Ton "das Ende“ heraufzubeschwören.