Porträts Volker Thiel

Porträts

Der Experte für Coronaviren

Der Virologe Volker Thiel ist Mitglied der wissenschaftlichen COVID-19 Task Force, die den Bund berät. Im Hochsicherheitslabor erforscht der Professor der Universität Bern Coronaviren seit Jahren, ein Ort an dem man momentan sicherer ist als auf der Strasse.

Von Barbara Vonarburg

Seit Januar ist das Forschungsteam von Volker Thiel rund um die Uhr im Einsatz im Hochsicherheitslabor des Instituts für Virologie und Immunologie (IVI) in Mittelhäusern. «Wir haben damals sofort begonnen, intensiv mit dem neuen Virus zu arbeiten», erzählt Volker Thiel. «Jetzt laufen diese Arbeiten natürlich weiter.» Ihm bleibt kaum Zeit, sich von den Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie eingeschränkt zu fühlen: «Man kommt abends nach Hause, fällt ins Bett und steht am Morgen wieder auf, um zur Arbeit zu gehen.»

Bereits im Februar war es Thiels Forschungsgruppe zusammen mit der Gruppe von Jörg Jores an der Vetsuisse Fakultät gelungen, mit einer verbesserten Methode viel schneller synthetische Kopien des neuen Coronavirus herzustellen als dies zuvor möglich gewesen war – ein wichtiger Schritt, der weltweit grosse Beachtung erhielt, da sich so beispielsweise feststellen lässt, welche Bedeutung die einzelnen Gene für die Vermehrung des Virus haben. Neben der Erarbeitung von neuem Grundlagenwissen interessiert sich Thiel auch für konkrete Anwendungen: «Wie können wir das Gelernte verwenden, um einen Impfstoff herzustellen?» fragt sich der Experte. Und soeben wurde auf EU-Ebene ein Projekt bewilligt, in dessen Rahmen die Berner Forschenden antivirale Mittel untersuchen werden.

Übertragung wie bei Schnupfen

Thiel kann sich bei seiner Forschung auf Erkenntnisse und Methoden stützen, die er in jahrelanger Arbeit erworben und entwickelt hat. Coronaviren sind schon lange sein Spezialgebiet, noch bevor 2002 ein erstes Sars-Coronavirus schwere Atemwegserkrankungen auslöste und fast 800 Menschen daran starben. Damals zählte Thiel zu den ersten Fachleuten, die den Erreger analysieren konnten. «Das neue Virus ist von seiner Erbinformation her dem Sars-CoV-1 sehr ähnlich», erklärt der Fachmann: «Aber im Menschen verhält es sich ganz anders.» Während Sars-CoV-1 tief in der Lunge vorkam, vermehrt sich Sars-CoV-2 besser im Rachen- und Nasenraum und überträgt sich deshalb viel leichter: «So, wie wir es von den Schnupfenviren her kennen, von denen einige auch Coronaviren sind», erklärt der Experte.

Auch das Mers-Coronavirus, das 2012 erstmals bei Lungenentzündungen entdeckt wurde und bei über 850 Menschen zum Tod führte, untersuchte Thiel eingehend. Der Erreger wurde bei Kamelen nachgewiesen. «Wir haben uns in den letzten Jahren unter anderem damit befasst, wie das Mers-Coronavirus vom Tier auf den Menschen übergeht», erklärt Thiel: «Solche Fragen sind jetzt natürlich wieder hochaktuell.» Mers sei zwar ein anderes Virus als das neue, aber die Mechanismen seien eventuell die gleichen.

Angst vor einer Ansteckung mit den gefährlichen Untersuchungsproben hat der Wissenschaftler keine: «Bei der Arbeit ist dies überhaupt kein Problem, weil wir uns ja in einem Hochsicherheitslabor befinden. Da sind wir sicherlich besser geschützt als momentan auf der Strasse.» Sorgen macht sich der 53-jährige eher um seine Eltern, die zwar gesund sind; «aber es kann sich ja jederzeit jemand anstecken.» Thiel wurde in Augsburg in Deutschland geboren, studierte in Würzburg Biologie und arbeitete später als Virologe in St. Gallen, bevor er 2014 als Professor an die Universität Bern berufen wurde und die Leitung der Abteilung Virologie des IVI übernahm.

Den Bundesrat beraten

Als weltweit renommierter Coronavirus-Experte gehört er zur «Swiss National COVID-19 Science Task Force», die den Bundesrat sowie die zuständigen Stellen von Bund und Kantonen bei ihren Entscheiden unterstützt. «Das ist viel Arbeit», seufzt der Virologe. In Telefonkonferenzen werden aktuelle Themen diskutiert und wissenschaftlich hinterfragt. Zurzeit gehe es in erster Linie um die mögliche Entwicklung der Fallzahlen, um wissenschaftliche Grundlagen zu liefern, wie und wann die getroffenen Massnahmen gelockert werden sollen. Dazu untersuchen die Experten auch die Literaturflut im Netz. Die Frage, die sie beantworten müssen: Was hält den wissenschaftlichen Kriterien stand und welche Zahlen ergeben sich daraus? «Im Moment stehen vor allem politische Fragen im Vordergrund, wie man dies in der täglichen Diskussion sieht», sagt Thiel: «Die fachlichen Aspekte werden eher im Hintergrund bearbeitet.»

Science-Fiction versus Realität

Auch wenn ihn die Coronaviren noch lange intensiv beschäftigen werden, freut er sich auf ruhigere Zeiten. Urlaub vermisse er im Moment zwar nicht, «aber abends mal jemanden treffen, ein Bier trinken gehen oder grillieren, wäre schön – und im Alltag ein bisschen mehr Freizeit.» Gerne würde er das Buch zu Ende lesen, das er an Weihnachten begonnen und von dem er noch kein Drittel geschafft hat. Science-Fiction-Romane gehören zu seiner Lieblingslektüre. Kürzlich hat er sich zudem wieder einmal den Film «Contagion» angeschaut, in dem ein tödliches Virus eine Pandemie auslöst. Der Hollywood-Thriller mit Matt Damon, Kate Winslet und Gwyneth Palthrow erinnert zwar an die jetzige Situation, ist aber doch höchst unrealistisch.

«Die Pandemie bricht in solchen Filmen innert Tagen oder Wochen aus, während wir das neue Coronavirus nun schon seit Monaten kennen», sagt Thiel: «Und auch das Wundermittel wird im Kino genauso schnell gefunden.» Ein solches sei in der Realität noch nicht in Sicht, auch wenn es Kandidaten für Wirkstoffe gebe. In der Regel haben diese aber Nebenwirkungen, so dass eine frühe Anwendung bei Gesunden nicht sinnvoll ist. «Kommt man jedoch mit einem Wirkstoff zu spät, so ist oft nicht mehr das Virus selbst, sondern die Entzündungsreaktion das grosse Problem», erklärt Thiel und auch wenn ein Mittel gefunden werde, dauere es längere Zeit bis es für alle verfügbar sein werde.

Zur Autorin

Barbara Vonarburg ist freie Wissenschaftsjournalistin