Porträt Wissenschaftlerinnen der Uni Bern

Wissenschaftlerinnen der Uni Bern

Maria Bindschedler: Berns erste Dekanin

Die Germanistin Maria Bindschedler war eine der allerersten ordentlichen Professorinnen überhaupt und 1967 Berns erste Dekanin. Die Professorin für germanische Philologie musste sich zwischen Heirat und akademischer Karriere entscheiden.

Von Franziska Rogger

Porträt der Germanistin Maria Bindschedler, der ersten Dekanin der Uni Bern.
Porträt der Germanistin Maria Bindschedler, der ersten Dekanin der Uni Bern. Bildnachweis: Foto Lassberg, Berlin-Charlottenburg

Steckbrief

  • Lebensdaten: 1920 – 2006
  • Herkunft: Zürich
  • Fachrichtung: Germanische Philologie
  • Zivilstand: ledig
  • Zusätzliche Informationen: Franziska Rogger: «Kinder, Krieg und Karriere. Selbstbildnisse aus der Mitte des 20. Jahrhunderts», Bern 2016

Schon als Jugendliche verschlang die am 23. Oktober 1920 geborene Zürcherin Maria Bindschedler fast die gesamte neuere deutsche Literatur  – und wegen des welschen Kindermädchens auch französische Lesestücke. Zudem war sie, wie sie lachend gestand, eine begeisterte Karl-May-Leserin.

Maria Bindschedlers Studienortswahl war durch den Krieg eingeschränkt. Dass sie beim deutschen, in Basel lehrenden Friedrich Ranke ihre Dissertation schreiben konnte, verdankte sie vor allem ihrem Klavierspiel. Ihre Brahms-Rhapsodien begeisterten den bedeutenden Mediävisten. Als er 1950 unerwartet starb, erhielt Maria Bindschedler in Basel einen Lehrauftrag für altgermanische Dichtung. Sie baute einen Vortrag über Gottfried von Strassburg, der im 12./13. Jahrhundert lebte,  zur offiziellen Basler Habilitationsschrift aus. Wie sie erzählte, soll sich Walter Muschg in der Fakultät gegen ihre Habilitierung gestellt haben, was er später allerdings dementierte. Erfolglos. Maria Bindschedler wurde 1952 Privatdozentin und bekam weitere Lehraufträge.

Forschungen zum höfischen Roman, Mystik und Nietzsche

Ihre Forschungsschwerpunkte waren der höfische Roman und die mittelalterliche Mystik des Meister Eckhart. Da man damals die Germanistik noch als Einheit empfand, erforschte Bindschedler auch Friedrich Nietzsche. Überhaupt war ihr Spektrum sehr breit. Sie befasste sich mit sprachphilosophischen, rechtsgeschichtlichen und volkskundlichen Ansätzen. Bindschedler schrieb Theaterkritiken und unter dem Pseudonym Béatrice May auch Gedichte. Sie verfasste Beiträge zu Goethe und der koketten Frau, zu Nietzsches Briefen an Meta von Salis und zu den weiblichen Leitbildern in der alten Literatur.

1957 wurde Maria Bindschedler in Basel zur vollamtlichen, ausserordentlichen Professorin für ältere deutsche Literaturgeschichte befördert. Zurück von einer Gastprofessur in Berkeley/USA kam sie ein Jahr später als Ordinaria nach Genf. Ihr waren sechs männliche Konkurrenten gegenübergestanden, unter ihnen der spätere Bonner Professor Beda Allemann.

1965 kam für sie überraschend der Ruf nach Bern. Dekanin wurde sie hier 1967. Sie war damit die erste Fakultätsvorsteherin. Schweizweit war 1949/50 die Pädagogikprofessorin Laure Dupraz an der Universität Fribourg die erste gewesen. Maria Bindschedler gefiel das Amt nicht: «Die netteste Aufgabe war, Professor Hans von Greyerz zum 60. Geburtstag einen Blumenstrauss zu überreichen. Am Dies academicus musste ich beim Essen eine Rede halten.» Nicht die Studierenden oder die Arbeit aber setzten ihr zusehends zu, sondern der «Papierkrieg» und das «Sitzungstheater».

Ultimatum: Ehe oder Karriere

Bindschedler hatte sich in ihrem Leben, wie sie gestand, zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen: «Vor dem Krieg, ich war siebzehn Jahre alt, wollte ich einen jungen Belgier im englischen Secret Service heiraten. Er war nicht gegen die Vereinbarkeit von Studium und Familie». Wegen des Krieges jedoch ging die Beziehung auseinander. «Im Gegensatz zu ihm stellten mir die Schweizer Männer, die in Frage gekommen wären, alle ein Ultimatum: entweder Ehe oder akademische Karriere.»

Schwierigkeiten gab es, als die Professorin selber junge Frauen fördern wollte: «Ich habe manche begabte Studentin gehabt, die ich gern gefördert hätte. Aber alle sagten, zuerst wollten sie heiraten.» Eine davon habe ihr erklärt, dass sie die grosse Konkurrenz im Wissenschaftsbetrieb abschrecke, dass man da ja mit den Ellbogen kämpfen müsse. «Später war dann der Zug für sie abgefahren, und sie hatte grosse Schwierigkeiten, überhaupt eine Stelle zu erhalten, da sie überall überqualifiziert war», so Bindschedler.

Rollenteilung unabhängig vom Geschlecht

Die Mediävistin war sich bewusst, wie schwierig es ist, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen und hatte eine klare Haltung zur Rollenteilung – ganz unabhängig vom Geschlecht. «Die Qualität der Arbeit ist davon abhängig, dass sich jemand ganz hingeben kann. Wir haben verschiedene Aufgaben, und ich finde, dass die einen sich auf die Familie konzentrieren und ihren Kindern gute Eltern sein und die anderen ihren Beruf ernst nehmen sollten», sagte Bindschedler.  Das gelte speziell auch für die Männer: «Es gibt doch Männer, die besser kochen können als Frauen. Und Butler, die besser sind als jede Zofe, nicht wahr?»

Im Berner Mittelalter Zentrum (BMZ) finden seit 2008 die Maria Bindschedler Gastvorlesungen statt, die jeweils Grundfragen der Mediävistik behandeln, die im Zusammenhang mit dem wissenschaftlichen Werk der Forscherin stehen.

Maria Bindschedler starb am 17. August 2006 in Bern.

Maria Bindschedler als Berner Dekanin mit Elisabeth Schmid, die Basels erste Dekanin war.
Maria Bindschedler als Berner Dekanin mit Elisabeth Schmid, die Basels erste Dekanin war. Bildnachweis: zvg
Maria Bindschedler als Berner Ordinaria zusammen mit Studenten um 1965.
Maria Bindschedler als Berner Ordinaria zusammen mit Studenten um 1965. Bildnachweis: zvg

Zur Autorin

Franziska Rogger arbeitete als Berner Uniarchivarin und hat unter anderem die Bücher «Der Doktorhut im Besenschrank. Das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen – am Beispiel der Universität Bern» sowie «Kinder, Krieg und Karriere. Selbstbildnisse aus der Mitte des 20. Jahrhunderts» verfasst.