Porträt Wissenschaftlerinnen der Uni Bern

Wissenschaftlerinnen der Uni Bern

Irene Blumenstein-Steiner: Berns erste ordentliche Professorin

Irene Blumenstein-Steiner war Schülerin, Ehefrau und Amtsnachfolgerin des Steuerrechtsprofessors Ernst Blumenstein. Die ordentliche Professur erhielt sie erst 1964, nach langen Kämpfen, zwei Jahre vor ihrer Pensionierung. Damit war sie Berns erste Ordinaria und die erste ordentliche Professorin der schweizerischen Rechtswissenschaft.

Von Franziska Rogger

Steckbrief

  • Lebensdaten: 1896 – 1984
  • Herkunft: Reinach/Aargau
  • Fachrichtung: Steuerrecht
  • Zivilstand: verheiratet mit dem verwitweten Steuerrechtsprofessor Ernst Blumenstein
  • Zusätzliche Informationen: Festschrift für Irene Blumenstein, überreicht zum 70. Geburtstag, Bern 1966.

Die auffallend begabte Irene Steiner wurde als drittes von sieben Kindern am 23. April 1896 geboren und wuchs im Doktorhaus zu Reinach/Aargau auf. Ihr Vater war Arzt, Schulpfleger und Erziehungsrat. Nachdem das wilde Mädchen in der Mädchenbezirksschule disziplinarische Schwierigkeiten bekommen hatte, durfte sie die Knabenbezirksschule besuchen, die auch in Latein unterrichtete. Hier hatte sie als «100. Kadett» keine Probleme. 

Ein starkes Paar fürs schweizerische Steuerrecht

Irene Steiner studierte in Zürich und Bern, wo sie 1921 über «das Haus im schweizerischen Recht» doktorierte. Sie war Schülerin von Ernst Blumenstein, dem «Vater des schweizerischen Steuerrechts». Der Professor war von Kind an teilweise gelähmt, hatte Schwierigkeiten beim Schreiben und musste alles im Kopf behalten. «Mein Vater», erzählte sein Sohn Dr. Max Blumenstein aus erster Ehe, «übte eine gewisse Faszination aus, auch auf Irene Steiner, die seine Intelligenz sah und ihn bewunderte.»

Irene Steiner arbeitete als Juristin auf der Oberzolldirektion in Bern und war viele Jahre Sekretärin der von Ernst Blumenstein präsidierten Eidgenössischen Zollrekurskommission. Max Blumenstein erinnerte sich, dass sie auch an Blumensteins rechtlichen Grundlagen mitarbeitete: «Sie war zugehörig in unserem Leben, rein wissenschaftlich verbunden mit meinem Vater, aber sichtlich auch angezogen durch seine Persönlichkeit. Sie begleitete ihn auf den Spaziergängen und kam immer wieder zu Besuch.» Irene Steiner habilitierte sich 1934 bei ihrem späteren Ehemann über das Zolltarifrecht. Im folgenden Jahr heiratete sie 39-jährig den inzwischen verwitweten Berner Rechtsprofessor. «Sie verschönte ihm», so sein Sohn, «viele Lebensjahre und sie haben durchaus nicht nur wissenschaftliche Gespräche geführt.»

Hart erkämpftes Ordinariat

So sehr Ernst Blumenstein dem Frauenstimm- und -wahlrecht misstraute und sich eine Frau als Bundesrätin schlecht vorstellen konnte, der Professorentitel für seine Irene schien ihm passend. 1941 wurde Irene Blumenstein-Steiner Honorarprofessorin der Universität Bern und 1947, als ihr Mann pensioniert wurde und sie seine Aufgaben übernahm, ausserordentliche Professorin für Steuerrecht. Nach dem Tod ihres Gatten 1951 wäre es logisch und gerecht gewesen, in seiner Nachfolge zur Ordinaria befördert zu werden. Vor allem auch, da sie alle seine Pflichten und Aufgaben übernommen hatte. So überarbeitete Irene Blumenstein etwa den Klassiker ihres Mannes zum System des Steuerrechts nicht nur grundlegend, sie verfasste auch über 60 wissenschaftliche Arbeiten zum Themenkreis. Zudem wirkte sie als Gutachterin und Expertin. Sie kümmerte sich ebenfalls um die zwei Fachzeitschriften, das «Archiv für schweizerisches Abgaberecht» und die «Monatsschrift für bernisches Verwaltungsrecht». Doch das Ordinariat erhielt sie erst 1964, zwei Jahre vor der Pensionierung, und nach wiederholten Bittschriften.

Vielseitige und beliebte Professorin

Irene Blumenstein nahm sich ihrer Studierenden an, half ihnen bei ihren Prüfungsvorbereitungen und hielt quasi Seminare zu Hause ab. Für viele Berner Juristen, erinnerte sich Professor Richard Bäumlin, blieb das Steuerrecht immer mit Irene Blumenstein verbunden: «Sie pflegte freundlich lächelnd, statt einer strengen Aktenmappe die Damentasche tragend, und das Vorlesungsmanuskript in einem mit Reproduktionen von Kunstwerken geschützten Kartondeckel haltend, den Hörsaal zu betreten – und hielt dann die Vorlesung oder das Seminar gemütlich am Katheter sitzend ab und nicht stehend wie ihre männlichen Kollegen.»

Irene Blumenstein-Steiner war tief im christlichen Glauben verwurzelt. Nach ihrer Pensionierung 1966 lernte sie unter anderem auch Griechisch, um die Bibel in einem ihrer Urtexte lesen zu können. Zudem war sie musikalisch sehr begabt. Sie hatte sich am Konservatorium in gehobenem Geigenunterricht ausbilden lassen. Die künstlerisch und kunstgeschichtlich Interessierte unternahm anregende Reisen und schrieb, Kunst und Religion verbindend, über die berühmte Kathedrale von Chartres fünf begeisterte Bücher.

Irene Blumenstein-Steiner wurde zu ihrer Emeritierung 1966 mit dem Basler Doktor honoris causa gewürdigt. Sie starb im aargauischen Menziken am 29. Januar 1984.

Zur Autorin

Franziska Rogger arbeitete als Berner Uniarchivarin und hat unter anderem das Buch «Der Doktorhut im Besenschrank» verfasst.