«Ich empfinde Probleme als Ansporn, nicht als Hindernis»

Mit seinem Projekt Aikeso will Hanspeter Hess mit KI-gestützten Bildanalysen die Behandlung von Schulterverletzungen verbessern. Neben einem konzentrierten Tüfteln an konkreten Problemen am PC schätzt der Medizintechnik-Ingenieur den Ausgleich in den Bergen.

Portrait Hanspeter Hess

Steckbrief

 
Name Hanspeter Hess
Projekt Aikeso
Expertise Biomedical Engineering (Master & PhD)
Arbeitsort Artificial Intelligence in Ortopedic Surgery, Inselspital @sitem-insel

Aikeso will mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz die Diagnose von Schulterpatienten automatisieren und verbessern, damit diese die geeignete Behandlung mit dem grösstmöglichen Erfolg erhalten. Mit Parametern aus der KI-basierten MRI-Auswertung soll vorausgesagt werden, wo eine Reparatur-OP Sinn ergibt und wo es besser ist, direkt eine Prothese einzusetzen.

Hanspeter Hess, welche Wirkung soll Ihr Projekt haben?
Schulterverletzungen können auf mehrere Arten behandelt werden: Je nach Schweregrad kommen hauptsächlich Physiotherapie, eine Reparatur-OP oder der Einsatz einer Prothese in Frage. Allerdings ist es aktuell schwierig abzuschätzen, bei welchem Patient oder welcher Patientin die weniger invasive Reparatur funktionieren wird oder wo es Sinn ergibt, eine Prothese einzusetzen.
Mit unserem Projekt revolutionieren wir die Diagnose und Behandlung von Schulterverletzungen mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI). Unser Tool wertet MRT*-Bilder automatisch aus und gibt Auskunft über den Grad der Verletzung. Mithilfe von KI ist unsere Software in der Lage, Informationen zu berechnen, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind, wie beispielsweise den Fettanteil im Muskel oder die Form der Knochen vor einer Fraktur. Die ermittelten Parameter ergeben dann eine Wahrscheinlichkeit, wo die Reparatur funktionieren wird und wo eine Prothese bessere Ergebnisse erzielt.

Woher beziehen Sie Ihre Inspiration?
Grundsätzlich habe ich schon immer gerne technische Probleme gelöst, denn ich empfinde sie als Ansporn für Innovation, nicht als Hindernis. Mit KI gibt es hierzu immer mehr Möglichkeiten. Wieso ich mich entschieden habe, in dieses Projekt meine Energie zu investieren? Die technischen Möglichkeiten und die Offenheit seitens der behandelnden Ärztinnen und Ärzte sind gegeben. Ausserdem ist der Moment wirtschaftlich günstig: Unsere Lösung wäre das erste Angebot auf dem Markt, das Analysen erlaubt, die nicht nur Knochen, sondern auch Muskeln und Sehnen einschliessen.
Ich arbeite in einem sehr interdisziplinären Feld, was mich grundsätzlich davor bewahrt, in einen reinen „Ingenieur-Strudel“ zu fallen. Der stetige Austausch mit Medizinerinnen und Medizinern ist wichtig für ein fundiertes Verständnis ihrer Bedürfnisse und hilft mir somit, passende Lösungen durch neue Betrachtungsweisen zu finden.
Ich lege Wert auf eine gesunde Balance zwischen konzentrierter Büroarbeit und Auszeiten in der Natur. Wenn nach langem Tüfteln am selben Problem der nötige Weitblick fehlt, hilft mir eine Auszeit im Sport Inspiration für neue Ansätze zu finden.

Wo steht Ihre Innovation aktuell?
Unser Ziel ist die FDA-Zulassung für die Software und unser erstes Produkt auf den Markt zu bringen. Eben haben wir die Software unseren Forschungspartnern online zur Verfügung gestellt. Diese werden damit MRI-Bilder auswerten und für ihre Forschung verwenden. Zudem erhalten wir so Feedback punkto Userfriendliness. Parallel läuft eine retrospektive Multicenterstudie von 1000 Patientinnen und Patienten, die bereits operiert wurden und von denen wir wissen, wie es ihnen zwei bis drei Jahre danach geht. So prüfen wir, ob unser Algorithmus gut voraussagt, wer von welchem Reparatur-Eingriff profitiert. Bis zum Ende der Venture Fellowship wollen wir unter einem verifizierten Qualitätsmanagement arbeiten. Damit bereiten wir den Weg für den sicheren klinischen Einsatz unserer Software in der nahen Zukunft.

Wie hilft Ihnen die UniBE Venture Fellowship dabei, Ihr Ziel zu erreichen?
Wenn man aus der Forschung kommt und Teil des Forschungsteams bleibt, hilft die Fellowship sich zu emanzipieren. Es ermöglicht eine gewisse Ablösung von der rein wissenschaftlichen Arbeit und verleiht Selbstständigkeit. Zudem ist das Coaching sehr hilfreich, denn es verfolgt beim Projekt kein Eigeninteresse und kann somit objektiver über Strategien der Firma beraten.
Eigentlich ist offensichtlich, dass als Unternehmer vielen neuen Aufgaben und Verantwortungen dazukommen. Jedoch tendiere ich immer noch dazu, mich eher auf die technischen Aufgaben zu fokussieren. Das Coaching hilft mir dabei, dagegen Strategien zu entwickeln. Unserem Projekt hat die Venture Fellowship geholfen, den Fokus mehr auf den wirtschaftlichen Erfolg der Firma zu legen.

Was haben Sie auf Ihrem bisherigen Weg gelernt, das Sie anderen mitteilen möchten?
Ich habe während meinem PhD gelernt, dass es meinen vollen Einsatz braucht, aber der Erfolg meiner Arbeit auch von externen, kaum beinflussbaren Faktoren abhängt. Ich achte darauf, möglichst gelassen zu reagieren und Verantwortung auch bewusst zu teilen. So vermeide ich unnötigen Stress und kann mich besser auf meinen Aufgabenbereich konzentrieren. Bei Aikeso sind wir sechs Personen mit sich ergänzenden Hintergründen im Gründerteam – eine mit Business Expertise, drei Ingenieure und zwei mit medizinischem Hintergrund. So ein breit abgestütztes Team um sich zu haben, wirkt entlastend und inspirierend zugleich.

Kletterer in den Bergen
Hanspeter Hess gewinnt in den Bergen den nötigen Weitblick für seine Innovation. (zvg.)

Venture Fellowship

Das Venture Fellowship Programm der Universität Bern

Das Venture Fellowship Programm der Universität Bern ermöglicht jährlich Jungforscherinnen und Jungforschern während eines Jahres ihre translationale Forschung weiterzuführen, um die technische Machbarkeit (Proof-of-Concept) ihrer Projekte zu prüfen und die Vermarktung entsprechend vorzubereiten. Das Innovation Office der Universität Bern unterstützt sie dabei mit Beratung, Mentoring und Vernetzung, in Kooperation mit be-advanced – der Startup-Coaching Plattform des Kantons Bern. Die mit je 100'000 Franken dotierten Fellowships werden gemeinschaftlich finanziert durch die Universität Bern, das ARTORG Center for Biomedical Engineering Research und das Inselspital. Ferner unterstützt das Institut für Geistiges Eigentum (IGE) das Programm.