Dem Rätsel der Materie auf der Spur

Forschende der Universität Bern, des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der ETH Zürich haben gemeinsam mit internationalen Partnern in einem aufwändigen Experiment am PSI eine Eigenschaft des Neutrons so genau wie noch nie vermessen: sein elektrisches Dipolmoment. Die Forschenden fanden heraus, dass das Dipolmoment deutlich kleiner ist als bisher angenommen. Damit ist es unwahrscheinlicher geworden, dass man die Existenz der Materie im Universum mit eben diesem Dipolmoment erklären kann.

Beim Urknall entstand sowohl die Materie des Universums als auch die sogenannte Antimaterie – so zumindest die gängige Theorie. Da sich die beiden allerdings gegenseitig auslöschen, muss ein Überschuss an Materie entstanden sein, der bis heute übrigblieb. Wie es dazu gekommen ist, ist eines der grossen Rätsel der Physik und Astronomie. Einen Hinweis auf das dahinterliegende Phänomen hoffen Forschende unter anderem mithilfe von Neutronen zu finden, den elektrisch ungeladenen Bausteinen der Atomkerne. Die Vermutung: Hätte das Neutron ein messbares elektrisches Dipolmoment (kurz: nEDM), könnte dahinter das gleiche physikalische Prinzip stecken, das auch den Überhang an Materie nach dem Urknall erklären würde.

In einer neuen Studie, die im Fachjournal Physical Review Letters publiziert wurde, haben nun Forschende der Universität Bern, des Paul Scherrer Instituts (PSI) in Villigen und der ETH Zürich – in Zusammenarbeit mit Forschenden von 13 weiteren Institutionen in Europa und den USA – das elektrische Dipolmoment des Neutrons mit bisher unerreichter Präzision neu vermessen. Seitens der Universität Bern am Forschungsprojekt beteiligt ist eine Gruppe des Albert Einstein Center unter der Leitung von Prof. Florian Piegsa. Die Berner Forschenden sind verschiedensten Stellen in das Projekt involviert – von der Datennahme bis hin zu Hardware-Entwicklungen.

50'000 Messungen

Die Suche nach dem nEDM lässt sich alltagssprachlich ausdrücken als die Frage, ob das Neutron ein elektrischer Kompass ist oder nicht. Schon lange ist klar, dass das Neutron ein magnetischer Kompass ist und auf ein Magnetfeld reagiert, oder im Fachjargon: ein magnetisches Dipolmoment hat. Sollte das Neutron zusätzlich auch ein elektrisches Dipolmoment haben, wäre dessen Wert jedoch sehr viel geringer und daher ungleich schwieriger zu messen, wie man aufgrund von früheren Studien bereits weiss.

Um das elektrische Dipolmoment des Neutrons mit bisher unerreichter Präzision neu zu vermessen nutzen de Forschenden die Quelle für ultrakalte Neutronen am PSI, die Neutronen mit vergleichsweise langsamer Geschwindigkeit liefert. Über einen Zeitraum von zwei Jahren, wurden alle 300 Sekunden für acht Sekunden Bündel mit über 10'000 Neutronen zum Experiment gelenkt und untersucht. Insgesamt vermassen die Forschenden 50'000 solcher Bündel, bis sie eine genügend grosse Zahl an beobachteten Neutronen hatten.

Die Messungen erforderten einiges an Aufwand, um das lokale Magnetfeld konstant zu halten. So störten beispielsweise Lastwagen, die auf der Landstrasse neben dem PSI vorbeifuhren, das Magnetfeld in einer für dieses Experiment relevanten Grössenordnung und mussten daher als Störsignal aus den Versuchsdaten herausgerechnet werden. Das war selbst für das PSI mit seinen Grossforschungsanlagen eine ziemlich umfangreiche Studie. Aber genau das ist heutzutage nötig, wenn man nach sogenannter neuer Physik jenseits des Standardmodells sucht.

Noch genauere Messungen geplant

Ähnlich wie in früheren Studien konnten die Forschenden auch diesmal keinen von Null verschiedenen Wert für das nEDM ermitteln. «Auch unser jetziges Ergebnis hat einen Wert für nEDM ergeben, der zu klein ist, um ihn mit unseren bisherigen Instrumenten zu messen – der Wert ist zu nahe an Null», so Philipp Schmidt-Wellenburg, Forscher am nEDM-Projekt vonseiten des PSI. Für die Physik jenseits des Standardmodells bedeutet das: Es ist also unwahrscheinlicher geworden, dass der Materie-Überschuss im Universum anhand des elektrischen Dipolmoments des Neutrons erklärt werden kann. Aber ganz ausgeschlossen ist es weiterhin nicht. Deshalb planen die Physiker bereits das nächste, noch genauere Experiment: Ab 2021 soll die nächste Messreihe starten, welche die Neutronen nochmals wesentlich präziser vermessen wird.

Beim Nachfolge-Experiment «n2EDM» ist die Berner Gruppe um Florian Piegsa für das Herzstück – die Neutronen-Präzessionskammer und die Hochspannungsanlage – verantwortlich. «Unser Ziel ist es, mit den Messreihen am neuen Experiment die Genauigkeit der jetzigen Ergebnisse wieder zu übertreffen», sagt Florian Piegsa.

Quellen: Paul Scherrer Institut / ETH Zürich

Publikationsangaben:

C. Abel et al.: Measurement of the permanent electric dipole moment of the neutron. Physical Review Letters XY. Februar 2020 (online). DOI:

28.02.2020