Ein DNA-Pantoffelheld

Pantoffeltierchen haben einen ganz besonderen Trick entwickelt, um die Zellmaschinerie auch in scheinbar unmöglichen Situationen noch nutzen zu können. Forschende des Nationalen Forschungsschwerpunkts «RNA & Disease – Die Rolle von RNS in Krankheitsmechanismen» von der Universität Bern haben zum ersten Mal einen Mechanismus beschrieben, wie «Junk»-DNA noch ausgelesen statt gleich abgebaut wird – und dieser ist von erstaunlicher Raffinesse.

Es klingt ein wenig wie aus einem Design-Wettbewerb: Wie können kleine Informationsschnipsel ausgelesen werden, wenn das Trägermaterial zu klein ist, um in den Leseapparat gefüttert werden zu können? Man hängt die kleinen Schnipsel zu einem längeren Streifen zusammen und verbindet dessen Enden, um handliche Ringe zu erhalten, die sogar mehrmals im Kreis ausgelesen werden können. Auf diese clevere Lösung ist ein kleiner Organismus namens Paramecium tetraurelia (zu den Pantoffeltierchen gehörend) gekommen, um die Transkription von kurzen ausgeschnittenen DNA-Segmenten in RNA zu bewerkstelligen.

Aber man muss die Geschichte eigentlich vom anderen Ende her erzählen: Als Mariusz Nowacki vom Institut für Zellbiologie der Universität Bern kleine RNAs fand, die eine offensichtliche regulatorische Funktion bei der Elimination von DNA-Segmenten aus dem Paramecium-Erbgut erfüllten, machten er und sein Team sich daran, die molekularen Mechanismen zu erforschen: Wo kamen diese RNAs her und wie genau liess sich ihre Funktion verstehen? Bald hatten sie eine Art Feedback-Loop bei der Elimination der DNA-Segmente gefunden. Klassischerweise nimmt man an, dass diese als nutzlos angesehenen DNA-Abschnitte (auch ‹junk DNA› genannt) aus dem Genom herausgeschnitten und dann unmittelbar von der Zellmaschinerie abgebaut werden. Doch hier dienen sie offenbar noch vor der Verdauung als Vorlagen für kleine RNAs, die dann wiederum beim Herausschneiden weiterer DNA-Schnipsel helfen. Dieses molekulare Schneeballsystem war zuvor noch nie beobachtet worden.

Das Unübersetzbare übersetzen

So schön und überzeugend dieses System aussah, ein Problem blieb: Eigentlich braucht der zelluläre Transkriptionsmechanismus viel längere DNA-Abschnitte, um sich an diese binden und zuverlässig funktionieren zu können. Wie konnten diese Ministücke – kaum länger als 30 Basenpaare – also als Vorlagen fungieren? Den Forschenden war klar: Würden sie keine gute Erklärung dafür finden, dann fiele die ganze schöne Idee in sich zusammen.

«Es war eine interessante Detektivarbeit», erinnert sich Nowacki. Sie hatten bald einen Verdächtigen im Visier – sie mussten ihn nur noch festnageln. «Wir suchten nicht nach dem komplett Unbekannten, es ging mehr darum, eine Idee zu testen.» Und die Idee stellte sich als goldrichtig heraus: Paramecium hat einen Weg gefunden, um die Schnipsel zu längeren DNA-Stücken zusammenzufügen und deren Enden, sobald die Stücke die richtige Länge (von ungefähr 200 Basenpaaren) haben, zu verbinden, sodass ringförmige sogenanne DNA-Konkatemere resultieren, mit denen der Zellmechanismus ohne Probleme hantieren kann.

Junk oder nicht Junk?

Dem Forschungsergebnis kommt womöglich weitgehende Bedeutung zu: Die unnützen DNA-Abschnitte – von der man gemeinhin annimmt, dass sie ohne jeden Nutzen für den Organismus sind und so sogleich nach dem Herausschneiden aus dem Genom abgebaut werden können – haben in diesem Fall tatsächlich eine klar identifizierte Funktion; sie dienen als Vorlage für eine Klasse von biologisch wichtigen kleinen RNAs. Ob ‹Junk'-DNA› tatsächlich wertlos ist oder ob sie nicht vielmehr regulatorische Funktionen übernimmt, wird derzeit zusehends zu einem wichtigen Forschungsfeld in der Molekularbiologie. Nowacki glaubt, dass es seiner Gruppe mit dieser Arbeit das erste Mal gelungen ist, einen präzisen Mechanismus zu beschreiben, wie schon herausgeschnittener DNA-«Abfall» noch von Nutzen ist. Und das würde einer baldigen Namensänderung wohl einiges an Nachdruck verleihen.

«RNA & Disease – Die Rolle von RNS in Krankheitsmechanismen»

Der Nationale Forschungsschwerpunkt «RNA & Disease – Die Rolle von RNS in Krankheitsmechanismen» widmet sich der Untersuchung der RNS (Ribonukleinsäure), die zentraler Drehpunkt vieler Lebensvorgänge ist und weit vielfältiger als ursprünglich angenommen. Sie definiert beispielsweise, wann und in welchen Zellen welche Gene aktiv oder inaktiv sind. Läuft bei dieser genetischen Regulation nicht alles rund, entstehen Krankheiten – etwa Herzerkrankungen, Krebs, Hirn- und Stoffwechselkrankheiten. Der NFS vereint Schweizer Forschungsgruppen, die sich mit verschiedenen Aspekten der RNS-Biologie in unterschiedlichen Organismen befassen. Heiminstitutionen sind die Universität Bern und die ETH Zürich.
 

Publikationsangaben:

Allen, S. E., Hug, I., Pabian, S., Rzeszutek, I., Hoehener, C., Nowacki M. (2017): Circular Concatemers of Ultra-Short DNA Segments Produce Regulatory RNAs. Cell 168(6). doi: 10.1016/j.cell.2017.02.020

 

 

20.03.2017