Rückblick auf die Herbsttagung 2024: Microcredentials in der Hochschulweiterbildung – kleines Format, grosse Wirkung?
Die Herbsttagung des ZUW bot tiefgehende Einblicke in die Frage, wie Microcredentials den Wissenstransfer in die Praxis beschleunigen und lebenslanges Lernen fördern können – und welche Schwierigkeiten es dabei zu überwinden gilt.
Beitrag: Neslihan Steiner, November 2024
Am 8. November 2024 widmete sich die Herbsttagung des Zentrums für universitäre Weiterbildung (ZUW) an der Universität Bern einem aktuellen und viel diskutierten Thema: Microcredentials in der Hochschulweiterbildung. Rund 120 Bildungsexpert:innen, Hochschulvertretende und Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung trafen sich, um die Chancen und Herausforderungen dieser neuen, kleinen und flexiblen Lerneinheiten zu diskutieren.
Prof. Dr. Fritz Sager, Vizerektor Lehre der Universität Bern, eröffnete die Tagung und betonte die starke europäische Vernetzung der Universität Bern, die gemeinsam mit Initiativen wie der Universitätsallianz ENLIGHT und „The Guild“ zur Förderung von Microcredentials beiträgt. „Das Konzept wurde durch die EU an uns herangetragen und betrifft letztlich alle Hochschulen,“ erläuterte Fritz Sager. Microcredentials seien in gewisser Weise ein „Buzzword“, das es jedoch auszugestalten und mit einem klaren Konzept zu versehen gelte. Ziel müsse es sein, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.
Dr. Christina Cuonz, Direktorin des ZUW, führte gemeinsam mit Dr. Lukas Sigrist, Leiter School for Continuing Education ETH und Antoine Maret, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei swissuniversities, in das Tagungsthema ein und skizzierte die Entwicklungen der letzten Jahre. Microcredentials werden ab Frühjahr 2025 an der Universität Bern in Form sogenannter „MiCAS“ (Microcertificate of Advanced Studies) angeboten und in das bestehende System der CAS-, DAS- und MAS-Abschlüsse integriert. „Unser Ziel ist es, mit diesen MiCAS eine Ära des flexiblen, lebenslangen Lernens einzuläuten“, so Christina Cuonz. Sie betonte, dass „just-in-time“ Bildungsangebote heute am Arbeitsmarkt gefragt seien und die schweizweite Integration von Microcredentials in das Hochschulsystem als nächster Schritt folgen müsse. Weiter wies sie darauf hin, dass Microcredentials keine Abschlüsse, sondern Zertifikate seien, die zwingend stapel- und transferierbar sein müssen.
Arbeitgeberperspektive: Anforderungen an die Weiterbildung von morgen
Markus Jordi, Leiter HR der SBB und designierter Präsident des Fachhochschulrats FHNW, bot den Teilnehmenden Einblicke in die Sichtweise eines Grossunternehmens auf Microcredentials. Er verdeutlichte, dass die SBB durch innovative Lernformate die kontinuierliche Weiterentwicklung ihrer Mitarbeitenden vorantreiben wollen „Es ist entscheidend, dass Microcredentials verbindliche Qualifikationen darstellen und nicht nur blosse Teilnahmebescheinigungen,“ so der HR-Experte. „Lernende sollen sich individuell und flexibel weiterbilden können und gleichzeitig Mehrwert für das Unternehmen schaffen.“
Im Hinblick auf die „HR-Strategie 2030“ hob Markus Jordi hervor, dass lebenslanges Lernen zur „DNA der SBB“ werden solle. Die Nachfrage nach kurzen Lerneinheiten wachse, die sich gut mit der beruflichen Tätigkeit vereinbaren lassen. Doch die Bildungslandschaft sei komplex und unübersichtlich geworden. Er sah in den Microcredentials eine Chance, diesen Bedarf zu erfüllen – allerdings nur, wenn sie wenn sie für Arbeitgebende verständlich und bewertbar sind.
Europäische Perspektive und irische Erfahrungen
Lyndsey El Amoud, stellvertretende Direktorin im Bereich Adult Continuing Education am University College Cork, Irland, gab Einblicke in die europäische Dimension von Microcredentials. Sie schilderte, wie diese Lernformate als Reaktion auf globale Herausforderungen entwickelt wurden, etwa den Fachkräftemangel und die Alterung der Gesellschaft. Microcredentials ermöglichten eine schnelle Anpassung an Marktanforderungen und seien für viele Teilnehmende eine kostengünstigere Alternative zu traditionellen Studiengängen. El Amoud betonte, dass Microcredentials nicht nur für Privatpersonen, sondern auch für Hochschulen selbst von Vorteil seien: Sie förderten die Vernetzung mit externen Partnern und böten neue Einnahmemöglichkeiten. In Irland hätten bereits sieben Universitäten über 400 Microcredentials im Programm – ein Modell, das laut El Amoud auch für andere europäische Länder inspirierend sei. „Wir sollten nicht lange zögern, sondern einfach loslegen,“ riet sie den Tagungsteilnehmenden.
Praxisbeispiele der Universität Bern: Flexible Wege zur Umsetzung
In den Praxisbeispielen gaben Dr. Anita Hochuli vom Multidisciplinary Center for Infectious Diseases (MCID) und das Team des ZUW einen Einblick in die geplante Implementierung von Microcredentials an der Universität Bern. Anita Hochuli erklärte, dass eininterdisziplinäres Microcredential-Programm für Herbst 2025 entwickelt werde, das auf konkrete Anforderungen des Arbeitsmarktes zugeschnitten sei. Sie stellte fest, dass die grösste Herausforderung in der breiten Streuung des Angebots läge: „Wir wollen Zielgruppen in verschiedenen Branchen erreichen, von der Pharmaindustrie bis hin zu gemeinnützigen Organisationen.“
Dr. Jill Bühler und Jörg Weidmann vom ZUW präsentierten die Entwicklung des CAS Studiengangs Hochschulweiterbildung, der zugleich als „MiCAS“-Pool an der Universität Bern fungieren solle. „Mit einem flexiblen Modul-Pool können wir auf spezifische Kompetenzanforderungen und Bedürfnisse reagieren, die an Leitende von Hochschulweiterbildungen herangetragen werden“, erklärten Jill Bühler und Jörg Weidmann. Bestehende CAS-Angebote werden hierfür angepasst und in den Pool integriert.
Workshops am Nachmittag: SWOT-Analyse, Change Canvas und Zielgruppenverständnis
Der Nachmittag der Tagung war interaktiven Workshops gewidmet, in denen die Teilnehmenden das Potenzial und die Risiken von Microcredentials eingehend untersuchten. In einem Workshop zur SWOT-Analyse wurden die Stärken und Schwächen von Microcredentials beleuchtet. Die grössten Chancen sahen die Teilnehmenden in der Flexibilität und Modularität dieser Lernformate. Gleichzeitig wurden jedoch Risiken wie ein möglicher Qualitätsverlust und unklare Standards angesprochen. Die Entwicklung einer zentralen Plattform für Schweizer Hochschulen könnte, so die Teilnehmenden, Transparenz und Vergleichbarkeit sichern.
In einem zweiten Workshop konnten die Teilnehmenden mittels Change Canvas, einer Methode, die hilft, Changeprozesse zu visualisieren und zu steuern, analysieren, an welchem Punkt ihre Institutionen bezüglich der Einführung von Microcredentials stehen.
In einem weiteren Workshop erarbeiteten die Teilnehmenden Zielgruppen-Personas, um die Bedürfnisse verschiedener Teilnahmegruppen zu analysieren. Diese Arbeit wird als hilfreich erachtet, um neue Lernformate besser an die Zielgruppen anzupassen und gezielt auf spezifische Anforderungen zu reagieren.
Abschlusspodium und Ausblick
Die abschliessende Podiumsdiskussion, geleitet von der Moderatorin Deborah Hefti, rundete die Tagung ab. Vertretende verschiedener Schweizer Hochschulen und Unternehmen brachten ihre Sicht auf das Tagungsthema auf den Punkt: Irene Strobel, Leiterin der Personalabteilung der Universität Bern, stellte fest, dass der Begriff „Microcredentials“ in der Privatwirtschaft noch kaum bekannt sei: „Ich bin fasziniert vom Potenzial, das dahintersteckt, aber wir müssen es dringend bekannter machen.“ Prof. Dr. Jochen Schellinger, Vizerektor Lehre an der Berner Fachhochschule, ergänzte: „Ein klares Verständnis von Microcredentials ist der erste Schritt, um sie als wertvolle Bildungsbausteine zu etablieren.“
Auch Prof. Elena Pintarelli, Prorektorin Weiterbildung an der Kalaidos Fachhochschule, hob hervor, wie wichtig der Dialog mit der Wirtschaft sei: „Ohne Rücksprache mit den Unternehmen werden wir keine massgeschneiderten Lernformate entwickeln können.“ Prof. Dr. Adrian Baumgartner von der FHNW regte an, eine gemeinsame Plattform zu schaffen, auf der alle Schweizer Hochschulen ihre Microcredentials bündeln können. Dr. Alexandra Müller, Leiterin der Fachstelle für Weiterbildung der Universität Zürich, verwies jedoch auf die praktischen Herausforderungen bei einer solchen Umsetzung.
Fazit: Der Teufel steckt im Detail
Die Moderatorin Deborah Hefti verglich das Format der Microcredentials mit einem Buffet und schloss den Tag mit einem prägnanten Bild: „Microcredentials sind wie Häppchen auf einem Buffet – sie laden ein, das zu wählen, was man braucht und einem schmeckt.“ Dieser Vergleich unterstrich die Attraktivität der kleinen, flexibel kombinierbaren Lerneinheiten, zeigte aber auch, dass ein solches Buffet gut organisiert sein muss, um wirklich satt zu machen und für alle etwas Passendes bereit zu halten.
Die Herbsttagung zeigte deutlich das Potenzial von Microcredentials auf – aber auch die Schwierigkeiten, die eine flächendeckende Implementierung mit sich bringt. Microcredentials könnten das lebenslange Lernen und die universitäre Weiterbildung in der Schweiz grundlegend verändern, doch die Umsetzung erfordert eine intensive Abstimmung und die Entwicklung verbindlicher Standards. Die erfolgreiche Etablierung von Microcredentials hängt letztlich davon ab, ob es gelingt, Qualitätsansprüche mit den Anforderungen der Praxis zu vereinen und dieses neue Bildungsformat durchdacht in die Bildungslandschaft zu integrieren. Nur ein koordiniertes und qualitätsorientiertes System wird es schaffen, das lebenslange Lernen mit Microcredentials auf eine neue Ebene zu heben.
Informationen zur Tagung
Flyer mit Information zum Tagungsprogramm und den Referierenden.
Bildergalerie mit Tagungsimpressionen.
Zur Autorin
Neslihan Steiner ist Mitarbeiterin der Stabsstelle Kommunikation des Zentrums für universitäre Weiterbildung ZUW.
Fotos
Dres Hubacher / Referentinnen und Referenten