Medikationssicherheit: Eine Spezialisierung mit viel Potenzial
Weiterbilden für einen Job, den es so in der Schweiz noch gar nicht gibt – aber der in wenigen Jahren zentral werden dürfte. Der Bedarf an Expertinnen und Experten im Bereich der Medikationssicherheit ist gross und wird in Zukunft massiv an Bedeutung gewinnen. Der neugeschaffene CAS Medication Safety bildet vorausschauende medizinische Fachpersonen weiter.
Beitrag: Neslihan Steiner, 2023
Falsche Medikamente, Dosierungen oder schädliche Wechselwirkungen: Medikationsfehler gehören weltweit zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen im Gesundheitswesen. Auch in der Schweiz, wo das Gesundheitssystem generell als qualitativ hochstehend und fortschrittlich angesehen wird. Die genaue Häufigkeit von Medikationsfehlern ist schwierig zu bestimmen, da nicht alle erkannt und gemeldet werden. Forschende der Universitäten Manchester und York kommen in ihrer Studie aus dem Jahr 2018 auf mehr als 237 Millionen Medikationsfehler jährlich – und dies nur in England. Gemäss der Stiftung Patientensicherheit Schweiz wird hierzulande rund jeder zehnte Spitalpatient durch Medikationsfehler oder unerwünschte Wirkungen geschädigt. Wenn man bedenkt, dass Medikationsfehler nicht nur in Spitälern auftreten, sondern auch in Langzeitpflegeinstitutionen oder im ambulanten Setting, kann man von einer höheren Dunkelziffer ausgehen. Solche Fehler können von der Verschreibung über die Verabreichung bis hin zur Überwachung an verschiedenen Stellen des Medikationsprozesses auftreten und schwerwiegende Auswirkungen sowohl auf das Patientenwohl als auch hohe Folgekosten haben: Spitalaufenthalte, längere Krankheitsverläufe bis hin zum Tod. Ein bedeutendes Problem im Gesundheitswesen, dessen man sich auch in der Schweiz bewusst ist.

Medikationsfehler sind auf komplexe Ursachen zurückzuführen, wären aber oft vermeidbar. Zeitdruck, Kommunikationsprobleme, mangelnde Überprüfung von Informationen oder unzureichendes Wissen sind begünstigende Faktoren. Der Bedarf nach einer Weiterbildung in diesem Bereich ist sehr gross. „Wir wissen genau, wo es im Gesundheitsbereich Probleme in Bereich der Medikationssicherheit gibt. Weniger bekannt ist allerdings, was wir genau tun müssen, um Medikationssicherheit und damit auch die Patientensicherheit zu verbessern. Dies wollen und müssen wir ändern“, so Prof. Dr. phil. II Carla Meyer-Massetti.
Die Fachapothekerin für Spitalpharmazie FPH und Assistenzprofessorin für Klinische Pharmazie beschäftigt sich seit über 12 Jahren mit dem Thema Medikationssicherheit, mit dem sie erstmals systematisch in den USA in Kontakt kam. Dort ist man indes auch weiter, was die Professionalisierung und Förderung von Medikationssicherheit angeht. Im Ausland gibt es den Job des Medication Safety Officers, einer beauftragten Person für Medikationssicherheit. Carla Meyer-Massetti ist Programmverantwortliche des neu geschaffenen CAS Medication Safety der Universität Bern und fügt an: „In der Schweiz sind wir noch nicht ganz so weit, aber wir haben nun einen universitären Weiterbildungsstudiengang, mit dem sich Fachpersonen aus unterschiedlichen Berufsgruppen für diese Aufgabe qualifizieren können. Das Thema Medikationssicherheit ist hochaktuell und wird noch massiv an Bedeutung gewinnen. Ausserdem muss es interprofessionell angegangen werden,“ so die Expertin.
Luft nach oben in Sachen Medikationssicherheit
Was Patientensicherheit und im besonderen Medikationssicherheit betrifft, wurden weltweit Fortschritte erzielt, aber sowohl Politik als auch Fachleute aus der Praxis sind sich einig, dass weitere Bemühungen erforderlich sind. Dies war auch der Konsens des im Februar 2023 in Montreux stattgefundenen Globalen Ministergipfel zur Patientensicherheit. Die Studienleiterin des CAS Medication Safety, Dr. Stefanie Janssen, gehörte zu den über 600 Expertinnen und Experten und 80 Ministerdelegationen aus der ganzen Welt, die sich an diesem Gipfel unter dem Motto „Less Harm, Better Care – from Resolution to Implementation“ über Massnahmen zur Stärkung der Patientensicherheit austauschten. „In der Schweiz gibt es mehrere Organisationen und Initiativen, die sich der Verbesserung der Patientensicherheit widmen. Eine universitäre Weiterbildung spezifisch auf Medikationssicherheit ausgerichtet, finden Interessierte zur Zeit aber nur an der Uni Bern“, so Stefanie Janssen. Der Studiengang wird in enger Zusammenarbeit mit der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Abteilung Klinische Pharmakologie und Toxikologie des Inselspitals Bern sowie den Programmverantwortlichen des Instituts für medizinische Grundversorgung BIHAM (Prof. Dr. Alice Panchaud und Prof. Dr. Dr. Sven Streit) und des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin ISPM (Prof. Dr. David Schwappach) angeboten. Zu den zahlreichen Partnern des Studiengangs gehören unter anderem das Universitätsspital Genf, die Careum Hochschule Gesundheit Zürich, das Kantonsspital Luzern, die Solothurner Spitäler AG, das Universitätsspital Basel, das Spitalzentrum Biel, der Verband der Waadtländer Spitäler sowie das Ente Ospedaliero Cantonale Lugano. Eine einzigartige Zusammenstellung, die es im englischsprachig durchgeführten CAS erlaubt, die Praxisarbeit sowohl auf Deutsch, Französisch, Italienisch oder Englisch zu verfassen.

Was Teilnehmende des CAS Medication Safety erwarten dürfen
Von Beginn an war der Programmverantwortlichen Carla Meyer-Massetti Interdisziplinarität und Interprofessionalität sehr wichtig, was sich im Programm und der Zielgruppe widerspiegelt. Der CAS Medication Safety richtet sich an Pharmazeuten, Ärztinnen oder Pflegeexperten, die eine führende Rolle im Bereich Medikationssicherheit in ihren jeweiligen Institutionen übernehmen möchten. Voraussetzungen für die Zulassung zum CAS sind ein Universitätsabschluss auf Master-Niveau in Pharmazie, Medizin oder Pflegewissenschaft oder ein Fachhochschulabschluss auf Master-Niveau in Pflege sowie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in einem klinischen Umfeld. Besondere Zulassung kann „sur dossier“ gewährt werden.
Ziel des sich über rund zwei Jahre streckenden Weiterbildungsstudiengangs ist es, Fachpersonen im Gesundheitswesen fundierte Kenntnisse zu Themen der Medikationssicherheit zu vermitteln, sie im Erkennen von Optimierungspotenzialen zu schulen und sie zu befähigen, Prozesse zur Verbesserung der Medikationssicherheit in ihrer Institution zu initiieren, zu leiten und zu überwachen. Dafür konnte die Programmleitung rund 40 national und international anerkannte Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Medikationssicherheit als Dozierende gewinnen. In einem Mix von Präsenz- und Onlineunterricht mit einer praktischen Lehr- und Lernplattform geben sie ihr Wissen an die Teilnehmenden weiter. So erhalten diese Zugang zum Netzwerk der Medikationsexpertinnen und -experten und können sich bereits während der Weiterbildung mit führenden Persönlichkeiten aus der Schweiz, Europa und den USA vernetzen.

Grosser praktischer Nutzen
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Entscheidung für diese Weiterbildung ist die individuelle, interaktive Natur des Unterrichts und der Praxisprojekte. Studienleiterin Stefanie Janssen dazu: „Teilnehmende können Erfahrungen aus dem eigenen Umfeld einbringen und vom kontinuierlichen Austausch mit ihren Studienkolleginnen und –kollegen sowie den Dozierenden profitieren. Dieser CAS bietet viele Chancen, sich auf einem zukunftsträchtigen Gebiet des Gesundheitswesens zu spezialisieren und sich zu vernetzen.“
Welche Aussichten haben die Teilnehmenden danach? „Im CAS Medication Safety vermitteln wir Teilnehmenden aus verschiedenen Gesundheitsberufen das relevante Wissen über Risiken und Chancen von Medikationsprozessen im Spital sowie in der Grund- und Langzeitversorgung“, so die Studienleiterin Stefanie Janssen. „Als Verantwortliche und Befürwortende der Medikationssicherheit werden die Teilnehmenden mit ihrem vielfältig gefüllten Rucksack in der Lage sein, proaktiv medikationsbezogene Projekte in ihren Gesundheitsinstitutionen zu initiieren, zu leiten und zu überwachen. Ziel ist es, dass die Teilnehmenden mit dem im CAS erworbenen Wissen und neuen Skills die Medikationsprozesse in ihren jeweiligen Institutionen verbessern und effizienter gestalten können“, fügt sie an.

Nächster Start CAS Medication Safety: Oktober 2023
Wer sich in der immer komplexer werdenden medizinischen Welt hinsichtlich Medikationssicherheit weiterbilden möchte, sollte sich diesen Weiterbildungsstudiengang nicht entgehen lassen. Weitere Informationen zum Studiengang finden Sie auf dem Factsheet CAS Medication Safety.
Zur Autorin
Neslihan Steiner ist Mitarbeiterin der Stabsstelle Kommunikation des Zentrums für universitäre Weiterbildung ZUW.