Porträts Frauke von Bieberstein

Porträts

Wenn das Babyphone die Vorlesung unterbricht

Frauke von Bieberstein bringt Studierenden im Fernunterricht und ihren Mitarbeitenden im Homeoffice hohe Achtung entgegen. Als Professorin für Organisation kennt sie die Schwierigkeiten, die mit dem Arbeiten von Zuhause einhergehen können, weiss, was sie verstärkt und wie ihnen zu begegnen ist.

Von Lilian Fankhauser

Die Expertin für Organisation hatte einen steilen Einstieg in die «Corona-Zeit»: Ausgerechnet für den ersten Tag, an dem kein Präsenzunterricht mehr stattfinden sollte, hatte Frauke von Bieberstein einen interaktiven Workshop angesetzt, für den die Studierenden sehr viel gearbeitet hatten. Es blieb nur ein Wochenende Zeit, den Workshop auf ein Skype-taugliches Format umzuorganisieren. «Es hat dann zwar ganz gut funktioniert, aber es war nicht gerade der beste Zeitpunkt», meint sie schmunzelnd. Auch die Produktion der digitalen Vorlesungen bringt neue Herausforderungen: «Manche Vorlesungen kann ich erst abends produzieren, wenn die Kinder im Bett sind. Da kann es sein, dass sich zwischendurch das Babyphone meldet, weil meine Dreijährige noch etwas trinken möchte. Zum Glück lassen sich mit der Software solche Passagen gut rausschneiden.» Ansonsten klappen die Aufzeichnungen inzwischen problemlos. Sie hat auch angefangen, die Videos mit kleinen Teasern zu beginnen – kleine, möglichst überraschende Behauptungen, die im Verlauf der Vorlesung entweder bestätigt oder widerlegt werden. «Aber es ist schwer, die physische Präsenz zu ersetzen.»

Diskussionsforum für Studierende und ihre Dozentin

Grössten Respekt hat sie vor den Studierenden, denn der Fernunterricht sei viel weniger zugänglich, viel weniger interaktiv. Und ihr selber fehlen die Fragen der Studierenden, die Diskussionen in den Veranstaltungen oder im Anschluss daran. Diese direkte Rückmeldung sei ihr sehr wichtig. Sie hat deshalb auch auf der ILIAS-Plattform ein Diskussionsforum eingerichtet und bietet Klausurvorbereitungen per Zoom an. Die Unterstützung durch iLUB, die Supportstelle für ICT-gestützte Lehre und Forschung der Universität Bern, leiste grossartige Arbeit.

Eine Überraschung war für Frauke von Bieberstein, dass sie im Homeoffice konzentrierter an ihren Forschungsprojekten arbeiten kann als am Institut, da sie weniger unterbrochen wird. Das hatte sie unterschätzt. «Ich habe schon früher häufig von zu Hause gearbeitet, aber nie ganze Tage lang. Jetzt überlege ich mir, zukünftig einen Tag Homeoffice für die Forschung einzubauen.» Die wissenschaftliche Arbeit zu Hause steht und fällt, so die Mutter von zwei Vorschulkindern, mit der Kinderbetreuung: «Da haben wir mit unserer Nanny riesiges Glück», gerade in der Zeit, als Kita und Kindergarten weggefallen seien.

Grosser Unterschied zwischen freiwilligem und verordnetem Homeoffice

Im Idealfall brauche es fürs Homeoffice Ruhe, einen eigenen Raum, ein funktionierendes Internet und passendes IT-Equipment – ohne zur selben Zeit Betreuungspflichten nachkommen zu müssen. «Homeoffice kann, das weiss man aus Studien, sehr produktiv sein, gerade wenn diese Arbeitsform von den Mitarbeitenden selber gewünscht ist.» Hierin liegt der grosse Unterschied zur jetzigen Krise, in der Homeoffice erzwungen ist und in vielen Haushalten hierfür keine optimalen Bedingungen bestehen. Das muss, so von Bieberstein, bei der Kritik, die gegenwärtig am unfreiwilligen Homeoffice sowohl von den Mitarbeitenden als auch von den Führungspersonen laut wird, berücksichtigt werden. So kann zwischen null und maximaler Produktivität alles im Homeoffice vorkommen.

Von Bieberstein kann sich gut vorstellen, dass Homeoffice als moderne Arbeitsform dank Corona-Massnahmen Aufwind bekommen wird, von denjenigen Arbeitnehmenden, die die Erfahrung machen, dass es funktioniert und sogar Vorteile mit sich bringen kann: Anfahrtswege entfallen, die Pausen in der heimischen Atmosphäre können entspannender sein als im Büro, und man kann im Idealfall ungestört seiner Arbeit nachgehen. Daneben ist Homeoffice auch ein Plus für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für Väter genauso wie für Mütter: Mitarbeitende mit schulpflichtigen Kindern sind für ein gemeinsames Mittagessen zu Hause und können, während die Kinder in der Schule sind, dort auch ungestört arbeiten. Dieses Modell eignet sich in der Wissenschaft gerade für Forschungsarbeiten, für die am Institut häufig die Ruhe fehlt. Allerdings ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Homeoffice wirklich funktioniert und nicht zu einer Doppelbelastung wird, dass beide Elternteile in die Betreuungsarbeit eingebunden sind. Sonst bleibt einer der Partner zu Hause, soll dort im Homeoffice arbeiten und «nebenbei» noch den Haushalt und die Kinder versorgen. Eine Studie der UN hat gezeigt, dass Mütter im Vergleich zu Vätern noch immer 2,6 Mal mehr Zeit in die Kinderbetreuung und Hausarbeit investieren. Fachleute vermuten, dass sich dieser Wert in Zeiten von Covid-19 noch einmal erhöht hat.

Für die Mitarbeitenden bestehen darüber hinaus die grössten Herausforderungen darin, sich weder im Homeoffice zu sehr ablenken zu lassen noch sich zu überarbeiten, wenn natürliche Pausen und Schlusszeiten entfallen. Hier hat sich bewährt, sich einen Arbeitsplatz zu Hause einzurichten, den man nur zum Arbeiten aufsucht und sich täglich einen Zeitplan mit klaren Anfangs- und Endzeiten aufzustellen.

Trotz der willkommenen Ruhe zum Arbeiten zu Hause: Von Bieberstein freut sich, im Herbst wieder an die Universität zurückkehren zu können: Auf den Austausch mit den Studierenden und dem Team sowie auf die kleinen Gespräche zwischendurch: für sie wird die Professorin Unterbrechungen in ihrer Arbeit zukünftig sehr gerne in Kauf nehmen.

Zur Autorin

Lilian Fankhauser ist Co-Leiterin der Abteilung für Gleichstellung an der Universität Bern.