Carte Blanche Noemi Brog und Julia Hegy

Universität Bern in Zeiten Coronas

Online-Hilfe bei psychischen Belastungen rund um COVID-19

Von Noemi Brog und Julia Hegy

Die COVID-19-Krise trifft und verändert die Welt in einem Ausmass und mit einer Geschwindigkeit, die sich vor ein paar Monaten noch kaum jemand vorstellen konnte.

Natürlich ist davon auch die psychologische Forschung betroffen. Einerseits wurden einige Projekte und Experimente an unserer Abteilung Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin durch die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen erschwert. So mussten beispielsweise ein Experiment im Versuchslabor, ein Projekt, welches sich an Senior_innen richtet und zwei Feldexperimente in Indien und Nepal pausiert werden. Andererseits bietet die Krise auch neue Möglichkeiten zur Forschung. An unserer Abteilung wird aktuell Forschung zu Gesundheit und Wohlbefinden älterer Menschen ab 65 Jahren und zu psychischen Belastungen beim Gesundheitspersonal während und aufgrund der COVID-19 Krise durchgeführt.

Bereits zu Beginn der Pandemie konnten wir beobachten, wie immer mehr Forschungsgruppen das Thema aufgriffen. Das Interesse und das Bedürfnis waren so gross, dass der Schweizerische Nationalfonds Fördergelder für COVID-19 bezogene Projekte ausschrieb. Neben der medizinischen Versorgung, der Entwicklung von Impfstoffen oder den wirtschaftlichen Folgen rückten auch psychosoziale Belastungen in den Fokus.

Es wurde schnell deutlich, welchen Einfluss die Psychologie als empirische Wissenschaft hat: Wie können wir diese Herausforderungen meistern, anstatt daran zu verzweifeln? Wie können wir mit Frustration, Ungewissheit, Zukunftsängsten, Einsamkeit und veränderten sozialen Strukturen umgehen? Auch nach dem Ende des «Lockdowns» bestehen zahlreiche Unsicherheiten fort. All diese neuen Herausforderungen, die uns das Leben gerade zuspielt, haben Auswirkungen auf unser psychisches Wohlbefinden.

Genau hier kann und soll unsere eigene Forschungsarbeit helfen. Als Psychologinnen können wir zwar nicht bei der Entwicklung von Impfstoffen und anderen Medikamenten helfen. Wir können allerdings versuchen, Menschen bei all diesen Belastungen und Herausforderungen zu unterstützen. Da wir uns in unserer Dissertation mit internetbasierter Selbsthilfe bei psychischen Belastungen nach einem Unfall befassen, konnten wir hier ansetzen. Wir haben mit der Unterstützung unserer beiden Betreuer, Prof. Hansjörg Znoj und Prof. Thomas Berger, ein Online-Selbsthilfeprogramm bei psychischen Belastungen rund um die COVID-19 Situation entwickelt: ROCO. «ROCO» steht für Resilienz und Optimismus gegen COVID-19. Es kann aktuell im Rahmen einer Studie genutzt werden.

ROCO richtet sich an erwachsene Menschen, die sich aufgrund der COVID-19 Krise psychisch belastet fühlen. Unter psychischer Belastung verstehen wir beispielsweise vermehrte Sorgen, Ängstlichkeit, depressive Verstimmung, innere Angespanntheit oder Unruhe. Im dreiwöchigen Programm geht es darum, neue Möglichkeiten zum Umgang mit diesen psychischen Belastungen kennenzulernen, die eigene Widerstandskraft zu stärken und Ressourcen zu erkennen und zu nutzen. Dies wird anhand von Texten, Videos, Grafiken und verschiedenen Übungen vermittelt.

Zur Überprüfung der Wirksamkeit des Programms führen wir eine randomisierte kontrollierte Studie durch. Dabei werden die Teilnehmenden zufällig einer Experimental- oder Wartelistenkontrollgruppe zugeordnet. Personen in der Experimentalgruppe erhalten direkten Zugang zum ROCO-Programm und können dieses während drei Wochen nutzen. Personen in der Kontrollgruppe erhalten den Zugang drei Wochen später. Alle Teilnehmenden werden zu insgesamt vier Zeitpunkten gebeten, jeweils einen Online-Fragebogen zu ihrer aktuellen Befindlichkeit auszufüllen.

Damit die Wirksamkeit des Programms untersucht werden kann, hat die Studie gewisse Ein- und Ausschlusskriterien. Allerdings möchten wir in der gegenwärtigen Situation möglichst vielen Betroffenen im deutschsprachigen Raum ermöglichen, unser Programm zu nutzen. Daher können auch Personen, die aufgrund der Ein- oder Ausschlusskriterien nicht an der Studie teilnehmen können, Zugang zum Programm erhalten. Allerdings sind internetbasierte Selbsthilfeprogramme in akuten Krisen wie z.B. bei Suizidgedanken nicht geeignet. Darum ist es uns sehr wichtig, im Vorfeld der Teilnahme eine allfällige Suizidalität sorgfältig abzuklären und mit den Betroffenen Kontakt aufzunehmen, um sie an geeignete Stellen weiterzuleiten.

Obwohl nun erste Lockerungen wieder mehr Freiheiten bieten, beeinflusst die COVID-19 Situation weiterhin den Zugang zum psychotherapeutischen Angebot. Bei Personen, die bereits in therapeutischer Behandlung sind, kann durch die Krise ein Bedürfnis nach zusätzlicher Unterstützung entstehen. Sie können das ROCO-Programm als ergänzende Behandlung nutzen.

Die besondere Situation rund um COVID-19 bringt also für Psychologie und Psychotherapie Hürden mit sich und zwingt auch uns dazu, alternative und insbesondere digitale Wege der Kommunikation zu nutzen. Die vermehrte Auseinandersetzung mit digitalen Hilfsmitteln könnte uns neue Möglichkeiten eröffnen. Denn obschon sich internetbasierte Selbsthilfeprogramme in verschiedenen Studien als wirksam erwiesen haben, sind sie bisher kaum Teil der Routinebehandlung. Dabei gibt es vielversprechende Ansätze wie zum Beispiel blended treatment, bei welchem klassische Face-to-Face-Psychotherapie durch digitale Angebote unterstützt wird.

So kommen wir hier zurück zu unserem Anfangsgedanken: Die COVID-19 Krise stellt uns vor grosse Herausforderungen, gibt uns aber auch die Gelegenheit, unsere Forschung weiterzuentwickeln. So haben wir die Hoffnung, dass die Krise auch Neues und Gewinnbringendes entstehen lässt und uns, auf gut Berndeutsch, den nötigen «Mupf» gibt.

Für uns persönlich hat die COVID-19 Krise auf jeden Fall viel Positives gebracht. Natürlich haben auch wir sowohl private als auch berufliche Einschränkungen erlebt. So mussten wir beispielsweise die gesamte Planung der ROCO-Studie virtuell meistern. Gleichzeitig hat uns die Situation aber auch bewiesen, wie gut wir als Team funktionieren. Es war eine sportliche Leistung, das Online-Selbsthilfeprogramm und die Studie in nur wenigen Wochen zu planen und umzusetzen. Deswegen freuen wir uns sehr, dass unser Hilfsangebot nun zur Verfügung steht und bereits genutzt wird.

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