Carte Blanche Monika Kugemann

Carte Blanche

Biomedical Engineering: Forschung in Zeiten von COVID-19

Von Monika Kugemann

English version below

Forschung im Notbetrieb fordert wissenschaftliche Teams zu kreativen Lösungen heraus und eröffnet so neue Möglichkeiten in der biomedizinischen Forschung. Wie das ARTORG Center for Biomedical Engineering Research mit den Bedingungen der Krise umgeht, Forschung und Entwicklung fortsetzt und neue Chancen ergreift, zeigt dieser Überblick.

27. März 2020, kurz vor Mittag: Dominik Obrist, Leiter der Forschungsgruppe Cardiovascular Engineering des ARTORG Center, wirft einen letzten Blick auf sein Flow-Labor im sitem-insel-Gebäude. Zwei seiner Teammitglieder haben eine Simulation des Blutflusses durch stenotische Herzklappen demontiert. Die restlichen Experimente des fast abgeschlossenen Projekts wird ein Doktorand in den kommenden Tagen von zu Hause durchführen. «Alles in allem ist es uns gelungen, die kritischen Projekte durch Homeoffice-Lösungen weiterzuführen», erinnert sich Obrist einen guten Monat später. «Es ist nicht dasselbe wie ein Labor, aber wir kommen gut voran.»

Wie viele andere Kompetenzzentren der Universität Bern bekam auch das ARTORG Center die in seiner Konsequenz unerwartet weitreichenden Folgen von COVID-19 zu spüren. Während des Notbetriebs wurden grössere Laborgeräte wie Rehabilitationsroboter unzugänglich, da die Labors geschlossen wurden. «Es braucht ein bisschen Kreativität», räumt Laura Marchal Crespo, Leiterin des Labors Motor Learning and Neurorehabilitation, ein. Einer ihrer Doktoranden konnte einen kleineren Roboter für feinhaptische Arm- und Handtherapie nach Hause nehmen und dort seine Doktorarbeit fortsetzen. Andere sammelten Forschungsdaten vor dem Lockdown und analysierten sie aus der Ferne.

Nach anfänglichen Teilnehmerbeschränkungen für Veranstaltungen mussten kleinere Seminare genauso abgesagt werden wie grössere öffentliche Events. Tobias Nef, Präsident der Klinischen Neurowissenschaften Bern und Forschungsleiter Gerontechnology and Rehabilitation: «Für die Brainweek Bern 2020 hatten wir sehr interessante Referentinnen und Referenten engagiert, aber natürlich hatte die Gesundheit der Teilnehmenden klare Priorität, auch weil viele von ihnen einer Risikogruppe angehören.»

ARTORG-Forschende bekamen auch die Reisebeschränkungen zu spüren. Francesco Clavica, Leiter Urogenital Engineering, war mit einem Postdoc als Redner zu einem COST Action Meeting der EU am 7. März in Belgrad eingeladen, das schliesslich abgesagt wurde. Ein SNF Early-Postdoc-Mobility Stipendiat konnte im April seinen Forschungsaufenthalt an der Universität Cambridge nicht antreten, sein Projekt aber schliesslich von der Schweiz aus starten. Juan Ansó aus der Gruppe Image-guided Therapy am ARTORG und seit Februar 2020 Postdoc an der University of California, erlebte die Auswirkungen von COVID-19 9’300 Kilometer weit von Bern entfernt: «Diese Krise reisst uns aus der Komfortzone, um neue Wege der Forschung zu entwickeln. Der Lockdown begann, als ich eben mit meinem neuen Team mein Projekt für patientenspezifische Tiefenhirnstimulation gegen Parkinson begonnen hatte. Dank Telekonferenztechnologie können wir aber trotzdem bei den Patientinnen und Patienten Daten sammeln.»

Weniger einschneidend war der Übergang ins Homeoffice für ARTORG-Gruppen, die sich auf computergestützte Projekte konzentrieren, wie etwas das Computational Bioengineering. Auch Stavroula Mougiakakou, Leiterin Artificial Intelligence in Health and Nutrition, hatte mit ihrem Team bereits grosse Erfahrung mit Videokonferenzlösungen sowohl für die Forschung als auch für die Lehre. «Besonders in der Forschung zu Computer Vision, Bilderkennung und maschinellem Lernen mit verschiedenen klinischen Partnern verwenden wir häufig digitale Technologien, um Projektfortschritte auszutauschen und zu diskutieren.»

Die veränderte Situation hat auch zu positiven Entwicklungen geführt. ARTORG-Forschende konnten mehrere wissenschaftliche Artikel abschliessen, die von Fachzeitschriften angenommen wurden. ARTORG-Nachwuchsforschende wurden für Preise in der Augenheilkunde und orthopädischen Biomechanik nominiert. Ende März gewann ARTORG zwei SNF-Projekte zu maschinellem Lernen und medizinischer Bildgebung. Zudem beteiligt es sich an einem dritten SNF-Projekt zur Humanaudiologie unter Leitung der HNO-Klinik des Inselspitals. Das ARTORG-Startup AlveoliX, ein Spin-off der Gruppe Organs-on-Chip Technologies, entwickelt in Zusammenarbeit mit Klinikerinnen und Virologen der Universität Bern ein COVID-19-Lunge-auf-Chip-Modell, mit dem der Mechanismus des Virus’ besser verstanden und potenzielle COVID-19-Therapeutika getestet werden können.

Seit dem 13. März sind alle ARTORG-Lehrveranstaltungen digital. Philippe Zysset, Direktor des Masterstudiengangs Biomedical Engineering und Leiter der Gruppe Musculoskeletal Biomechanics, fasst die bisherigen Erfahrungen zusammen: «Die Lehrenden haben sich mit der hervorragenden Unterstützung des Zentrums für ICT-gestützte Lehre der Universität schnell an den Online-Lehrmodus angepasst, während die Studierenden trotz fehlender persönlicher Interaktionen sehr verständnisvoll reagieren. Derzeit arbeiten wir daran, faire Prüfungen zu ermöglichen, die Verzögerungen beim Studienabschluss verhindern.» Am 6. April fand die erste virtuelle PhD-Verteidigung am ARTORG statt – für die erfolgreiche Absolventin der nächste Schritt in ihrer akademischen Laufbahn trotz Coronakrise.

«Natürlich bietet die Arbeit aus der Ferne nicht die gleichen informellen Möglichkeiten zur Vernetzung und zum Austausch von Ideen, wie es in unseren Gebäuden der Fall wäre», erklärt Raphael Sznitman, ARTORG-Direktor und Leiter der Gruppe Artificial Intelligence in Medical Imaging. «Wir haben uns daher von Beginn an bemüht, auch eine Reihe informeller Treffen einzuplanen, die den Mitgliedern jedes Teams pro Woche digital zur Verfügung stehen, um in Verbindung bleiben zu können. Dies ist auch deshalb relevant, weil viele unserer Forschenden keine Familie hier in der Schweiz haben, die sie in dieser aussergewöhnlichen Zeit unterstützt.»

Biomedical Engineering: Research in Times of COVID-19

By Monika Kugemann

Research in emergency operations challenges scientific teams to find creative workarounds and offers new possibilities in biomedical research. This overview shows how the ARTORG Center for Biomedical Engineering Research deals with the COVID-19 crisis, continues research and development and seizes new opportunities.

27 March 2020, 11.40h: Dominik Obrist, head of the Cardiovascular Engineering research group of the ARTORG Center, takes a final look at his flow lab on the first floor of the sitem-insel building. Two of his team members have dismounted a test setup simulating blood flow through stenotic heart valves. A PhD student will be conducting the project's remaining experiments over the coming days from his home. «All things considered, we managed to continue the critical projects through home-based solutions,” Obrist recalls now, a good month later. “It is not the same as having the lab, but we are getting along.»

Like many other Centers of Excellence at the University of Bern, the ARTORG Center for Biomedical Engineering Research was struck by the unexpectedly far-reaching consequences of the COVID pandemic. During emergency operation, larger laboratory equipment such as rehabilitation robots became inaccessible as the laboratories were closed. "It takes a little creativity," admits Laura Marchal Crespo, head of the Motor Learning and Neurorehabilitation Laboratory. One of her doctoral students was able to take a smaller robot for fine haptic arm and hand therapy home and continue his doctoral thesis there. Others collected research data before the lockdown and analyzed it remotely.

After initial participant restrictions, meetings such as a planned biomedical lunch seminar had to be cancelled as had events of bigger public impact. Tobias Nef, head of ARTORG's Gerontechnology and Rehabilitation group and President of the Clinical Neurosciences Bern: «For the Brainweek Bern 2020 we had engaged very interesting speakers, but obviously the health of the participants – many of which belong to the defined risk group for serious courses of infection – was a clear priority.»

ARTORG researchers also felt travel restrictions. Francesco Clavica, Head of Urogenital Engineering, was invited with a postdoc as speaker to a COST Action Meeting of the EU on 7 March in Belgrade, which was finally cancelled. An SNF Early Postdoc Mobility Fellow was unable to begin his research stay at the University of Cambridge in April but managed to start his project from Switzerland. Juan Ansó, previously at ARTORG´s Image-guided Therapy and since February postdoctoral fellow at the University of California, experienced the consequences of the pandemic 9300 kilometers away from Bern: «This crisis pushes us beyond the familiar to develop new ways of research. We entered the lockdown just when I had started my project for patient-specific deep brain stimulation technologies against Parkinson with my new team. Thanks to teleconference technology we are still able to collect data connecting to patients' homes.»

For those ARTORG groups focusing on computational projects, the lockdown and transition to home office have been somewhat smoother, as simulations and data analysis can continue seamlessly. “Our projects for less invasive and more patient-specific therapies with clinicians in Bern, Switzerland as well as internationally continue” says Philippe Büchler who leads the Computational Bioengineering group. Stavroula Mougiakakou, Head of Artificial Intelligence in Health and Nutrition, and her team also had extensive experience with video conferencing solutions for both research and teaching. «Especially for research into computer vision, image-recognition and machine learning with various clinical partners, we frequently use digital technology to share project progress and discuss.»

The changed situation has also led to positive developments. ARTORG researchers were able to complete several scientific articles that were accepted by specialist journals. ARTORG young researchers were nominated for prizes in ophthalmology and orthopaedic biomechanics. In late March the ARTORG won two SNF projects on machine learning and medical imaging and participates in a third granted project on human audiology led by the Inselspital ENT Department. The ARTORG startup AlveoliX, a spinoff of the Organs-on-Chip Technologies group, is partnering with clinicians and virologist at the University of Bern to develop a COVID19-lung-on-chip model that could be used to better understand the virus' mechanism and test potential therapeutics.

In accordance with University of Bern directive, all ARTORG teaching activities are digital since 13 March. Philippe Zysset, director of the Master's course in Biomedical Engineering and head of the Musculoskeletal Biomechanics group, summarises the experiences so far:

«Teachers have adapted autonomously and almost immediately to the online teaching mode with the outstanding support of the center for ICT-aided teaching of the University, while students have been very understanding to this transition despite the lack of face-to-face interactions. We are currently working on fair examinations that will prevent delays in graduation.» On April 6th, the first virtual PhD defence took place at ARTORG - for the successful graduate the next step in her academic career despite the corona crisis.

 

«Of course, working remotely cannot generate the same informal possibilities for networking and sharing ideas as work in our buildings would,” explains Raphael Sznitman, ARTORG Director and head of the Artificial Intelligence in Medical Imaging group. “We have therefore striven to also plan for various touch points that members of each team have digitally per week, so that we can stay connected. This is also relevant because many of researchers are not Swiss and can thus not count on their family supporting them in this extraordinary time.»

Zur nächsten Carte Blanche