Schauplatz Ukraine

Die Osteuropabibliothek sammelt auch heute noch nicht nur wissenschaftliche Literatur, sondern auch kurzlebige, oft tendenziöse politische Publikationen als Quellenbasis zu aktuellen Konflikten. Beratung und Informationskompetenz-Schulungen helfen, solche Propagandaliteratur einschätzen und kontextualisieren zu können. Wie unterschiedlich die Positionen in aktuellen Konflikten inhaltlich, aber auch in der Bildsprache von Publikationen ausfallen, zeigt sich auf dem Schauplatz Ukraine seit 2013:

Im November 2013 entlud sich die Unzufriedenheit der ukrainischen Bevölkerung in Protesten rund um den Majdan-Platz in Kiew, die schliesslich zum Regierungswechsel im Februar 2014 führten. In der russisch-nationalistischen Propaganda erscheinen die Akteure des Majdan meist als nationalistisch-faschistische, oft auch vom Westen finanzierte Randalierer, vermummt und aggressiv. Die Ikonografie des Majdan als «Revolution der Würde» dagegen verwendet die Figur des Engel-Strassenkämpfers und schafft so auch die Assoziation zur «Nebesna sotnja», der «himmlischen Hundertschaft», wie die rund hundert am Majdan getöteten Demonstrantinnen und Demonstranten bezeichnet werden, die später zu «Helden der Ukraine» erklärt wurden.

Nach einer militärischen Intervention und einem umstrittenen Referendum wurde die Halbinsel Krim im Frühling 2014 an Russland angegliedert. Auch bei der Beurteilung dieser Vorgänge sind die Standpunkte unvereinbar: «Diebstahl» nennt die ukrainische Journalistin Natalija Vlaščenko die Annexion – Titel und Motiv erinnern an die Zeiten, als auf der Krim die ganze Sowjetunion Badeurlaub machte.

Auf der prorussischen Seite wird dagegen von «Rückkehr» der Krim zu Russland gesprochen, und deren Zugehörigkeit über die imperial-militärisch interpretierte russische und sowjetische Geschichte betont. Besonders der Flottenstützpunkt Sevastopol, der im Krimkrieg und im Zweiten Weltkrieg lange Belagerungen durchmachte, nimmt in der russischen kollektiven Erinnerung einen wichtigen Platz ein – hier wird sie als «Stadt des russischen Ruhms» bezeichnet