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Quantenphysikalisch geschmolzen

Aggregatszustände, die sich verändern, sind in der Quantenphysik «Quantenphasenübergänge». Ein internationales Forscherteam mit Berner Beteiligung hat nun beobachtet, was bei einem solchen Übergang geschieht, bei dem eine magnetische Struktur sozusagen quantenphysikalisch schmilzt.

Ob Wasser flüssig ist oder ein Festkörper in Form von Eis, hängt davon ab, welche von zwei Kräften in seinem Inneren die Oberhand gewinnt. Die eine ist die Bindungskraft zwischen den Wasserteilchen, die andere die Bewegung der Teilchen, die umso heftiger wird, je höher die Temperatur ist. Erwärmt man Eis über Null Grad Celsius, wird die Bewegung der Teilchen so stark, dass die chemische Bindung sie nicht mehr zusammenhalten kann – das Eis schmilzt.

Es ändert sich der Aggregatzustand, oder wie Physiker sagen: Es kommt zu einem Phasenübergang. Ein ähnliches Phänomen kann man in Magneten beobachten – erwärmt man einen Magneten, wird er unmagnetisch. Der Grund ist ähnlich: Man kann sich vorstellen, dass es im Inneren des Magneten viele winzige Stabmagnete gibt – Physiker sprechen von magnetischen Momenten. Wenn alle diese magnetischen Momente parallel ausgerichtet sind, ist das ganze Material magnetisch geordnet und wirkt wie ein Magnet. Für die Ausrichtung der Magnete sorgen Kräfte, die im Material zwischen den magnetischen Momenten wirken. Wird das Material erhitzt, schwankt die Richtung der Momente immer stärker bis die Kräfte diese nicht mehr ausrichten können und schliesslich die magnetische Ordnung verschwindet – sie ist gewissermassen geschmolzen.

Quantenphysikalische Aggregatzustände

Neben diesem «klassischen», durch Temperaturänderungen ausgelösten Schmelzen gibt es in manchen Materialien noch ein vergleichbares, fundamentales Phänomen, das durch die Gesetze der Quantenphysik bestimmt wird. Die Quantenphysik bewirkt, dass man gewissen Eigenschaften von Teilchen in einem Material nicht genau kennen kann. Diese Unbestimmtheit bezeichnet man oft als Quantenfluktuationen. Die Bezeichnung lehnt sich an die oben beschriebenen klassischen Fluktuationen an, bei denen die Position von Teilchen oder die Ausrichtung von magnetischen Momenten mit der Zeit schwankt und deswegen im Mittel unbestimmt ist. 

Das durch Quantenfluktuationen ausgelöste «Schmelzen» ist ein Beispiel für einen Quantenphasenübergang – also des Übergangs zwischen verschiedenen Aggregatzuständen. Solche Quantenphasenübergänge sind für viele interessante Phänomene der Festkörperphysik wichtig, wie zum Beispiel für die Hochtemperatursupraleitung.

Herausforderung Quantenfluktuationen

Forschende des Paul Scherrer Instituts und der Universität Bern haben nun mit Kollegen aus London, Grenoble und Peking die Wirkung der Quantenfluktuationen und ihr Zusammenspiel mit klassischen Fluktuationen in dem Material TlCuCl3 genau untersucht. Bei diesem Material, einem Kristall, handelt es sich um eine ungewöhnliche chemische Verbindung TlCuCl3 (Thallium-Kupfer-Trichlorid). Die schwierige Aufgabe, den benötigten TlCuCl3-Kristall herzustellen, übernahm die Arbeitsgruppe von Karl Krämer vom Departement für Chemie und Biochemie der Universität Bern. 

Die besondere experimentelle Herausforderung des Projekts war, dass man die Quantenfluktuationen gezielt verändern musste. Die klassischen Fluktuationen zu ändern, ist relativ einfach – man muss das Material abkühlen oder erwärmen. Um aber die Quantenfluktuationen in einem Material zu kontrollieren, muss man die Wechselwirkung zwischen den Momenten gezielt variieren. Die Forschenden nutzten die Tatsache, dass TlCuCl3 relativ weich ist, sodass man mit äusserem Druck atomare Abstände und damit die Wechselwirkung innerhalb des Materials gut verändern kann. Im Experiment haben sie so über einen grossen Bereich Druck und Temperatur variiert und das Material mittels Neutronen untersucht. So konnten sie genau bestimmen, wie sich die Zustände des Materials verändern. Die Studie wurde nun in «Nature Physics» publiziert.

Die Forschenden haben die magnetische Ordnung in dem Material untersucht, also die Anordnung der magnetischen sogenannten Momente. Bei niedrigem Druck sind die magnetischen Kräfte zwischen den magnetischen Momenten am schwächsten, und die Quantenfluktuationen der magnetischen Momente am stärksten. Erhöht man nun den Druck, rücken die magnetischen Momente zusammen, sodass die Momente einander stärker spüren und allmählich eine langreichweitige Ordnung entsteht – es kommt zum Quantenphasenübergang.

Quantendynamik der magnetischen Momente

In ihrem Experiment haben sich die Forscher vor allem für die magnetischen «Anregungen» im Inneren des Materials interessiert, die sehr präzise Informationen zu den Quantenzuständen der Momente liefern können. Solche Anregungen kann man sich als gemeinsame, koordinierte Schwingung der magnetischen Momente vorstellen, ähnlich einer Wasserwelle oder der Schwingung einer Gitarrensaite. Je mehr Anregungen man hat, umso stärker bewegen sich die magnetischen Momente. Die Quantenphysik schreibt vor, dass die Anregungen in TlCuCl3 eine Mindeststärke haben müssen und auch nur in festgelegten Stufen stärker werden können. Wie stark die Mindestenergie einer bestimmten Anregung ist, also wie leicht diese angestossen werden kann, hängt von den Wechselwirkungen zwischen den magnetischen Momenten ab – in diesem Experiment also vom Druck, der auf die Probe ausgeübt wird.

Die Forschenden haben in ihrem Experiment gezeigt, dass bei starkem Druck manche Anregungen so hohe Energien brauchen, dass sie praktisch gar nicht vorkommen. Senkt man den Druck und nähert sich dem Wert, bei dem es zum Quantenphasenübergang kommt, so nimmt die Energie ab, die für die Anregungen nötig ist, und immer mehr verschiedene Anregungen können beobachtet werden. Darunter sind auch solche, die mathematisch wie das Higgs-Boson der Elementarteilchenphysik zu beschreiben sind, sodass man von Higgs-Teilchen im Festkörper sprechen kann. «Wir waren sehr erstaunt, dass diese Anregungen eine wichtige Rolle spielen, unabhängig davon ob die Ordnung nun durch quantenmechanische oder klassische Fluktuationen zerstört wird. Das ist eine faszinierende Eigenschaft von Quantenphasenübergängen», erklärt Christian Rüegg, Laborleiter am Paul Scherrer Institut und Leiter des Forschungsprojekts.

Angaben zur Publikation:

P. Merchant, B. Normand,K. W. Krämer, M. Boehm, D. F. McMorrow, and Ch. Rüegg: Quantum and classical criticality in a dimerized quantum antiferromagnet, Nature Physics Advance Online Publication (AOP) 06 April 2014 DOI: 10.1038/NPHYS2902 

 

Quelle: Paul Scherrer Institut (PSI)

06.04.2014