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EU-Agrarreform wird Artenvielfalt nicht ausreichend schützen

Die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union wird den Schutz der biologischen Vielfalt nicht verbessern, sondern sogar weiter verschlechtern. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie mit Beteiligung der Universität Bern.

Die Europäische Union hat zwar verschiedenste Gesetze und Richtlinien für den Habitat,- Vogel- oder Wasserschutz erlassen, aber keine davon hat so grossen Einfluss auf die Ökosysteme wie die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Im Dezember 2013 verabschiedete die EU deren Reform, die für die Jahre 2014 bis 2020 gilt. Mit einem Gesamtbudget von rund 360 Milliarden Euro wirkt sich die GAP auf rund die Hälfte der Landfläche der EU aus und damit auf unzählige Arten, die sich im Laufe der Jahrhunderte an diese Kulturlandschaften angepasst haben.

Nun kommt eine internationale Forschergruppe mit Schweizer Beteiligung – unter anderem von Prof. Raphaël Arlettaz vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern und Schweizerischen Vogelwarte Sempach – zum Schluss, dass die Reform aber dieses Ziel verfehlen wird. Die Forschenden haben die Änderungen in der Gesetzgebung analysiert sowie mit Daten des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) verglichen, um herauszufinden, was die reformierte Agrarpolitik tatsächlich bewirken wird. Die Studie wurde im Fachjournal «Science» publiziert.

Negative Trends für die Artenvielfalt halten an

Die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche und eine stärkere Intensivierung prägen die Landwirtschaft in Westeuropa und zunehmend auch in den neuen EU-Mitgliedstaaten. Parallel dazu sind ein erheblicher Verlust ökologisch wertvoller Agrarlandschaften und ihrer Artenvielfalt, zum Beispiel bei Vögeln, sowie gleichzeitig ein Rückgang der Beschäftigung in der Landwirtschaft zu verzeichnen. Deshalb sieht die EU-Biodiversitätsstrategie unter anderem vor, die Flächen, die für Biodiversitätsschutzmassnahmen unter der GAP verwendet werden, zu maximieren. Auch die Reform der GAP, für die rund 40 Prozent des EU-Haushalts eingeplant sind, sollte daher neben der Lebensmittelsicherheit und der Förderung ländlicher Gebiete auch den Klima- und Umweltschutz unterstützen.

Dieses Ziel wird sie aber laut den Forschenden verfehlen: «Die aktuelle GAP-Reform hat das ursprüngliche Ziel, 10 Prozent der Agrarfläche für den Erhalt der Artenvielfalt und von Ökosystemdienstleistungen vorzuhalten, weiter reduziert und viele Ausnahmeregelungen geschaffen, die zu einem weiteren Verlust wertvoller Kulturlandschaften führen werden», sagt Arlettaz. Die Autoren der Studie bezeichnen diesen Verlust und die zunehmende Intensivierung Agrarlandschaften als lebensfeindlich für viele Arten. In der Schweiz sind seit langem 7 Prozent der Fläche eines Bauerbetriebs als Schutzzone für die Artenvielfalt eine strikte gesetzliche Verpflichtung, was sich auf die Biodiversität relativ positiv auswirkt. «Ursprünglich wollte die EU dem Schweizer Beispiel folgen – hat es aber schlussendlich nicht getan. Das ist schade», sagt Arlettaz.

Keine «grünere» Landwirtschaft

Die Studie zieht ein ernüchterndes Fazit: Die neue Reform der GAP hat wenig Chancen, diese Trends aufzuhalten und wird somit das Ziel einer «grüneren Landwirtschaft» («Greening») verfehlen, wie die Autoren anhand europaweiter Statistiken aufzeigen konnten. Ursache dafür sind die vielen Ausnahmeregeln: So müssen Betriebe mit einer Fläche unter 10 Hektar keine Fruchtfolgen anbauen (und nicht bereits Betriebe kleiner als 3 Hektar wie ursprünglich vorgeschlagen). Damit entfällt für rund 80 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe diese Pflicht. Ähnlich abgeschwächt sind die GAP-Ziele für den Erhalt von Dauergrünland, die eine weitere Reduktion um 5 Prozent der Fläche zulassen, und die Ausweitung ökologischer Vorrangflächen formuliert. Etwa die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche ist davon ausgenommen. «So werden die Umweltverordnungen zu stark verwässert», stellt Arlettaz fest.

Chancen, das Ruder noch herumzureissen

Der Leiter der Studie, Dr. Guy Pe’er vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig, fordert ein Engagement von den einzelnen Mitgliedsstaaten: «Sie müssen Umsetzungsstrategien entwickeln, die erheblich über die verbindlichen Verpflichtungen hinausgehen – dann kann ein Greening erreicht werden.» Die Botschaft der Autoren der Studie ist daher: Die von der EU vorgegebenen Mindestziele werden nicht ausreichen, aber die Mitgliedstaaten haben selbst 2014 immer noch genügend Spielraum, um mehr zu tun, als in der Reform gefordert ist.

Sie empfehlen den EU-Mitgliedsstaaten mehrere Massnahmen. Dazu gehören unter anderem die Unterstützung von kleinen, nachhaltig wirtschaftenden Landwirtschaftsbetrieben aus dem Budget der sogenannten zweiten Säule der GAP, die zur Förderung ländlicher Räume und für Agrarumweltmassnahmen gedacht ist. Ausserdem schlagen die Forschenden vor, in den ökologischen Vorrangflächen nur noch Kulturen und Bewirtschaftungsmethoden zu fördern, die nachweislich positive Effekte auf die Artenvielfalt haben. Ebenfalls wichtig sei es, den Umbruch von Dauergrünland zu verhindern.

Dabei müssten laut den Forschenden die Vorteile intensiver Landwirtschaft – wie kurzfristige ökonomische Gewinne für die Bauern und die Nahrungsmittelindustrie – gegen ihre Nachteile aufgewogen werden: «Intensive Landwirtschaft bedeutet auch einen Verlust für das Allgemeinwohl – etwa durch fehlende Klimastabilität, beeinträchtigte Ökossystemleistungen wie Bestäubung durch Insekten, einseitige Landschaften, weniger Biodiversität mit damit verbundenen Umwelts-, Gesundheits- und gesellschaftlichen Kosten, die in der Agrarwirtschaft der EU jedoch nicht berücksichtigt werden», sagt Arlettaz.

Publikation:

G. Pe’er, L. V. Dicks, P. Visconti, R. Arlettaz, A. Báldi, T. G. Benton, S. Collins, M. Dieterich, R. D. Gregory, F. Hartig, K. Henle, P. R. Hobson, D. Kleijn, R. K. Neumann, T. Robijns, J. Schmidt, A. Shwartz, W. J. Sutherland, A. Turbe, F. Wulf and A. V. Scott (2014): EU agricultural reform fails on biodiversity. SCIENCE, 6 June 2014, Vol. 344, Issue 6188. DOI: 10.1126/science.1253425.

Die Studie wurde gefördert von der Europäischen Kommission (FP-Projekte SCALES & LIBERATION), den Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) und der Schweizer Regierung, der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (MTA) sowie dem Arcadia-Fond und dem Natural Environment Research Council (NERC) aus Großbritannien.

 

11.06.2014