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Airpokalypse erklärt: Wie Chinas rekordhohe Feinstaubbelastung vom Winter 2013 zustande kam

Anfang 2013 deckte eine graubraune Dunstglocke über mehrere Monate weite Teile Chinas zu. Die Feinstaubbelastung übertraf die üblicherweise in Westeuropa oder USA gemessenen Werte bei weitem. Nun deckt ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Paul Scherrer Instituts und mit Beteiligung der Universität Bern die Quellen hinter der «Airpokalypse» auf. Die in der Zeitschrift Nature veröffentlichte Studie zeigt auch, mit welchen Massnahmen einer solchen Umweltkrise in Zukunft vorgebeugt werden kann.

In den sozialen Medien fanden Chinesen schnell dramatische Bezeichnungen für die wahrlich ernsthafte Lage, die sich Anfang 2013 über mehrere Monate erstreckte. Namen wie «Airpokalypse» und «Airmaggedon» spiegelten die akute Sorge vieler Menschen um die drastisch verschlechterte Luftqualität in Städten wie Beijing, Shanghai, Guangzhou und Xi‘an.

Die chinesische Regierung verfügte die temporäre Schliessung von Schulen, rief die Bevölkerung dazu auf, zu Hause zu bleiben; Baustellen wurden mit Wasser bespritzt, um Staub auszuwaschen. Die Anzahl gemeldeter Patienten mit akuten Atemwegbeschwerden stieg dennoch rasant. Die Reaktion der Regierung folgte prompt: Mit einem amibitionierten Aktionsplan zur Vorbeugung und Überwachung der Luftverschmutzung setzte sie sich das Ziel, bis 2017 die Feinstaubbelastung gegenüber den Werten von 2012 um 25 Prozent zu senken.

Erhebliche Wissenslücken zu Feinstaubquellen

Doch mittel- und langfristig wirksame Massnahmen zur Drosselung der Verschmutzung durch Feinstaub werden in China durch ein fundamentales Manko erschwert: das ungenügende Wissen darüber, wo der Feinstaub überhaupt herkommt. Eine internationale Kooperation unter der Leitung von Forschenden des Labors für Atmosphärenchemie des PSI und der CAS in Xi’an hat nun eine in diesem Detaillierungsgrad in China einzigartige Untersuchung vorgelegt.

Diese Studie identifiziert die Quellen und chemische Zusammensetzung des Feinstaubs (PM2.5) während der rekordhohen Verschmutzungsperiode. Die Autoren zeigen damit, welche Massnahmen zur Feinstaubreduktion in Zukunft sinnvoll wären. An der Studie beteiligt ist auch das Departement für Chemie und Biochemie (DCB) der Universität Bern.

Indirekte Emissionen dominieren

Die wichtigste Erkenntnis formuliert André Prévôt vom Paul Scherrer Institut wie folgt: «Will man eine Wiederholung von ‹Airmaggedon› verhindern, muss man sein Augenmerk verstärkt auf Emissionen richten, die erst indirekt zur Feinstaubbildung führen. Rund die Hälfte bis drei Viertel des Feinstaubs in den Städten Beijing, Shanghai und Guangzhou wurde in der betreffenden Periode nämlich nicht direkt als Feinstaub ausgestossen, sondern bildete sich erst in der Luft aus gasförmigen Vorläufersubstanzen.»

Diese Substanzen werden im Gegensatz etwa zu Russ erst durch chemische Umwandlung in der Atmosphäre zu Feinstaub. Zu den wichtigsten Feinstaubvorläufern zählen Schwefeldioxid (primär aus der Kohleverbrennung), Stickoxide (aus Verkehr und Kraftwerken), Ammoniak und sogenannte flüchtige organische Verbindungen (aus der Verbrennung von Kohle, Biomasse oder Kraftstoffen in Verbrennungsmotoren).

Nur in der westchinesischen Stadt Xi’an stellten die Forschenden eine dominierende Rolle von direkten Feinstaub-Emissionen fest, die vermutlich zum grossen Teil aus benachbarten Wüstengebieten stammten – obwohl auch die rege Bautätigkeit sowie der Verkehr in der Stadt nicht zu unterschätzende Mengen beigesteuert haben dürften. Doch selbst in Xi’an trug der sekundär gebildete Feinstaub zu 30 Prozent zur Verschmutzung bei.

Buntes regionales Quellenmuster

Die Messungen und deren statistische Analysen belegen, dass bezüglich der direkten Emissionen die Kohleverbrennung im Norden (Beijing) und im Westen (Xi’an) sehr wichtig ist. Im Umkreis von 1000 Kilometern um diese Städte sind Kohleheizungen nämlich stark verbreitet. Die Verbrennung von Kohle setzt grosse Mengen an sogenannten polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAKs) sowie an Schwermetallen wie Arsen und Blei frei – Schadstoffe, die sich auf das Herzkreislaufsystem und auf die Atemwege schädlich auswirken können.

In Xi’an machte sich zudem eine zögerliche Umsetzung von Emissionsvorschriften bei Fahrzeugen bemerkbar. Dort belastet der Strassenverkehr die Luft deutlich stärker mit Feinstaub als in den anderen Städten, obwohl die Verkehrsflotte von Xi’an wesentlich kleiner ist.

Sönke Szidat von der Universität Bern betont indes: «Unsere Radiokarbon-Messungen zeigen für alle vier Städte, dass die Biomasseverbrennung, im Winter vor allem von Holzfeuerungen, von ähnlicher Bedeutung sein kann wie der Verkehr und die Kohleheizungen.» Für alle Feinstaubquellen gilt, dass auch der Feinstaub-Transport über Luftmassen aus der umliegenden Region – zumal in grossen Städteagglomerationen – überwacht werden sollte; in den Städten ist Feinstaub nämlich nur zum Teil ein «hausgemachtes» Problem.

Was tun?

Die Studienautoren folgern aus der Analyse ihrer Messdaten, dass neben den direkten auch die indirekten Feinstaubemissionen vermehrt in den Mittelpunkt künftiger Massnahmen gegen Feinstaubverschmutzung in China rücken sollten. Der Ausstoss von Substanzen, die erst in der Luft zu Feinstaub umgewandelt werden sollte demnach stärker eingeschränkt werden.

Bei Schwefeldioxid hat die chinesische Regierung bereits erste Fortschritte verzeichnet: Durch die Anwendung von Technologien zur Entschwefelung der Abgase aus Kohlekraftwerken ist die Schwefeldioxid-Konzentration in der Luft seit 2006 zurückgegangen. Bei den Stickoxiden nimmt die gemessene Konzentration jedoch immer noch zu – und zwar auf Grund des gestiegenen Kraftstoffverbrauchs von Fahrzeugen und Kraftwerken gepaart mit den teilweise noch laxen Emissionsvorschriften oder fehlender Umsetzung.

Dringenden Handlungsbedarf sehen die Studienautoren bei den bisher weitgehend unbeachteten flüchtigen organischen Verbindungen, die hinter 18 bis 33 Prozent der gemessenen Feinstaubmasse stecken. Die Emissionen dieser Nebenprodukte von Verbrennungsprozessen könnten durch effizientere Kohleheiz- und Holzöfen oder striktere Emissionsvorschriften für Fahrzeuge deutlich gesenkt werden.

Analysetechnik wurde in Bern entwickelt

Die Forschenden haben für ihre Untersuchungen ein breites Spektrum von Mess- und Analysetechniken angewandt, die entweder Stand der Technik oder sogar Neuentwicklungen darstellen. Beispielsweise wurde eine neue am PSI entwickelte Aerosolmassenspektrometermethode zur Analyse der organischen Feinstaubmasse von PM2.5 sowie eine von der Universität Bern entwickelte Radiokarbon-Methode zur Unterscheidung von fossilem und nicht-fossilem Kohlenstoff angewandt.

Die Sammlung von Filterproben ist üblich und relativ kostengünstig. Ähnliche Messkampagnen könnten deshalb auch in anderen Entwicklungs- oder Schwellenländern mit ähnlichen Situationen bezüglich Feinstaubbelastung durchgeführt werden.

Text: Paul Scherrer Institut/Leonid Leiva

19.09.2014