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Birkhühner leiden unter dem Wintersport

Erstmals gibt es harte Fakten zum Einfluss des Wintersports auf die Wildfauna. In den Waadtländer und Walliser Alpen sind 44 Prozent der Birkhuhn-Vorkommen durch die Wintersportaktivitäten um die Skianlagen beeinträchtigt. Dies zeigt eine neue Studie der Universität Bern und der Schweizerischen Vogelwarte Sempach. Mit gut platzierten Wildruhezonen innerhalb der Skigebiete kann das Problem stark entschärft werden.

Einem Forscherteam unter Leitung von Prof. Raphäel Arlettaz, Dr. Patrick Patthey und Sven Wirthner ist es erstmals gelungen, den Einfluss von Wintersportaktivitäten auf Wildtiere am Beispiel des Birkhuhns zu quantifizieren. Das Forschungsprojekt der Universität Bern und der Schweizerischen Vogelwarte Sempach wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und von einem italienisch-schweizerischen Interreg-Projekt finanziert. Die Ergebnisse sind eben in der renommierten Fachzeitschrift «Journal of Applied Ecology» erschienen. Die Erkenntnisse werden weit über die Schweiz hinaus Beachtung finden, denn negative Auswirkungen auf Wildtiere entstehen vielerorts, wo Outdoor-Freizeitaktivitäten aufblühen.

Die Entwicklung im Wintersport hat insbesondere die Alpen stark verändert. Immer mehr touristische Einrichtungen entstehen auf einst traditionell bewirtschafteten Bergwiesen und Alpweiden. Ein Netz von Seilbahnen und Skiliften durchzieht die Landschaft mit ihren Drahtseilen und Masten, Rodungen und Pistenplanierungen kommen dazu.


Je mehr Skilifte, desto weniger Birkhühner

Die Wissenschaftler wählten für ihre Untersuchungen das Birkhuhn. Der bedrohte Hühnervogel lebt das ganze Jahr in der oberen subalpinen Stufe, wo im Übergangsbereich vom Wald zu den Alpweiden zwischen den Alpenrosen noch vereinzelt Tannen, Arven und Lärchen wachsen. Genau diese Zone weist viele Wintersporteinrichtungen auf, und hier halten sich viele Skifahrer und Snowboarder auf.

Die Biologen zählten die Birkhühner auf 30 Untersuchungsflächen in den Walliser und Waadtländer Alpen. Der Lebensraum wurde überall detailliert kartografiert, ebenso alle Wintersportanlagen. Die Analyse der Daten ergab, wie die Beschaffenheit der Vegetation und die Anordnung und Zahl der baulichen Einrichtungen den Bestand der Birkhühner beeinflussen. Daraus wurden schliesslich Vorhersagen über die Verbreitung und Häufigkeit der Birkhühner berechnet.

Die Ergebnisse lassen nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: Der Wintersport und die dafür benötigten Einrichtungen sind ein wesentlicher Faktor, der die Birkhuhnbestände negativ beeinflusst. Je mehr Skilifte, desto weniger Birkhähne. In Skigebieten sind die Bestände 49 Prozent kleiner als in vergleichbaren Gebieten ohne Skilifte, am Rande von Skigebieten liegt die Einbusse bei 18 Prozent. Der Einfluss von Skiliften ist bis auf eine Entfernung von 1500 m spürbar. Das Raumnutzungsmodell zeigt auch, dass die Birkhuhn-Bestände in den Walliser und Waadtländer Alpen wegen Skisporteinrichtungen auf nicht weniger als 44 Prozent ihrer Vorkommen geschwächt sind. Die Forscher schätzen, dass der Skisport im Bereich der Skianlagen allein für einen Bestandsrückgang von 15 Prozent verantwortlich ist. Dabei sind weitere Störungen ausserhalb von Skianlagen, insbesondere durch Skiwanderungen und Schneeschuhlaufen, noch nicht berücksichtigt.


Gefordert: Wildruhezonen

Die Studie ist eine wichtige Grundlage für pragmatische Lösungen. Mit Hilfe des quantitativen Modells werden sich Wildruhezonen planen lassen. Solche gilt es in der Nachbarschaft von Skigebieten zu schaffen. Auf nur wenigen Hektaren garantieren diese Rückzugsgebiete den Wildtieren die nötige Ruhe im Winter. Bei guter Planung können die Ruhezonen für das Birkhuhn optimal gelegt werden, mit nur geringen Einschränkungen für den Wintersport. In den ordnungsgemäss beschilderten Wildruhezonen soll jegliches menschliches Eindringen in den Wintermonaten unterbleiben. So können die Birkhühner in Nachbarschaft des Menschen überleben. Und auch andere störungsempfindliche Wildtiere profitieren von den Wildruhezonen. Hier lassen sich übrigens die faszinierenden Vögel aus Distanz bestens beobachten.

Quellenangabe: Patthey P., S. Wirthner, N. Signorell & R. Arlettaz: Impact of outdoor winter sports on the abundance of a key indicator species of alpine ecosystems. Journal of Applied Ecology (2008), doi:10.1111/j.1365-2664.2008.01547.x.

31.10.2008