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Trendportarten im Schnee – eine ernsthafte Bedrohung für Wildtiere

Eine Studie der Universitäten Bern und Wien und der Schweizerischen Vogelwarte Sempach zeigt, dass in den Alpen boomende Trendsportarten wie Variantenskifahren und Snowboarden, Skitouren und Schneeschuhlaufen das Leben der Wildtiere gefährden und diese zurückdrängen.

Winterliche Trendsportarten gefährden in den Alpen lebende Wildtiere: Zu diesem Schluss kommt eine Forschergruppe unter Leitung der Universität Bern. Zum ersten Mal konnten die physiologischen Auswirkungen des Wintersports auf Wildtiere quantifiziert werden. Die alpinen Ökosysteme wurden durch den boomenden Wintersport in den letzten Jahrzehnten radikal verändert. Weite, im Winter ehemals ruhige Gebiete werden heute zwischen Dezember und März von Zehntausenden von Touristen besucht. Dies stellt die heimischen Fauna vor Probleme: Ihr fehlen die Fähigkeiten, sich auf neuartige Veränderungen einzustellen, wie es die menschlichen Störungen in einem bislang nicht gekannten Ausmass darstellen.

Die Wildtiere in den Alpen mussten spezielle Anpassungen entwickeln, um im harten Bergwinter bestehen zu können. Je schwieriger die winterlichen Ernährungsbedingungen sind, desto mehr Energie müssen sie sparen. Eine Störung von aussen kann dieses subtile physiologische Gleichgewicht destabilisieren und zu einem Energieverlust führen. Überschreitet dieser eine gewisse Schwelle, kann er nicht mehr kompensiert werden und beeinträchtigt dann den Gesundheitszustand und sogar das Überleben der Tiere.

Eine schweizerische und österreichische Forschungsgruppe unter der Leitung von Prof. Raphaël Arlettaz (Universität Bern und Schweizerische Vogelwarte Sempach) hat nun die physiologischen Reaktionen einer charakteristischen und bedrohten Tierart der Alpen untersucht. Die Wahl fiel auf das Birkhuhn, weil es exakt die vom Skisport am stärksten genutzten Gebiete bewohnt, nämlich die Übergangszone vom Nadelwald zu den Alpweiden im Bereich der oberen Waldgrenze. Die Forschenden entwickelten eine so genannte nicht-invasive Methode, die es erlaubt, das Stressniveau der Vögel zu messen, ohne sie fangen zu müssen – denn der Fang selber wäre ja eine vom Forscher verursachte Störung für den Vogel. Mit dieser Methode können Abbauprodukte des Corticosterons, des wichtigsten Stresshormons bei Vögeln, quantifiziert werden, die aus den Kotproben der Vögel stammen.


Birkhühner im Stresstest

Im Winter verbringen Birkhühner mehr als 20 Stunden ruhend pro Tag in Schneehöhlen. So profitieren sie sowohl von der Wärmedämmung des Schnees, als auch vom Schutz vor Raubfeinden. Der Kot der Birkhühner häuft sich am Boden dieser Iglus an. In den alten Schneehöhlen wird der Kot eingesammelt und dann auf Abbauprodukte der Stresshormone analysiert. In einem ersten Schritt wurde das chronische Stressniveau untersucht, also der kumulierte Effekt eines lang anhaltenden Stresses, dem die Vögel unter verschiedenen Gebieten in zunehmenden Mass ausgesetzt sind: 1) «natürliche» Habitate (keine oder sehr schwache menschliche Störung); 2) Gebiete mit mässigen Störungen (für Skitouren und Schneeschuhlaufen reservierte Gebiete); und schliesslich 3) durch diverse Wintersportaktivitäten stark gestörte Zonen (in der Nähe von Skistationen). Die Resultate zeigen klar einen um etwa 20 Prozent höheren Stress in den mässig und stark gestörten Gebieten (die beiden obigen Kategorien 2 und 3) verglichen mit der Situation in ungestörten Gebieten (Kategorie 1 ). Die Werte aus den mässig und den stark gestörten Zonen waren gleich hoch. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich selbst mässige Störungen, hervorgerufen durch Skitouren oder Variantenskifahrer, als problematisch für die Vögel erweisen.

In der Folge führten die Forscher draussen in der Natur Störungsversuche mit Wildvögeln durch. Dazu trugen sie Telemetriesender, mit dem die Tiere individuell erkannt und ihre jeweiligen Standorte geortet werden können, um die unmittelbare physiologische und hormonelle Stressreaktion der Vögel auf ein Stressereignis messen zu können. Die Forscher näherten sich den Iglus auf Tourenskis, worauf die Vögel aufflogen. Aus den verlassenen Iglus wurde dann der Kot eingesammelt. Auch hier waren die Ergebnisse unzweideutig: Der Stress des Vogels steigt um 60 Prozent von einem Tag ohne jede Störung (Kontrolle) auf den folgenden Tag mit experimentellen Störungen.


Akute Gefährdung der Wildtiere

Mit diesen Resultaten konnten die physiologischen Auswirkungen des Wintersports auf Wildtiere zum ersten Mal quantifiziert werden. Es steht nun fest, dass sich deren Stressniveau deutlich erhöht. Weiterführende Arbeiten sollen die genauen Auswirkungen der menschlichen Störungen auf den Gesundheitszustand und das Überleben der Vögel aufzeigen. Es deutet sich aber schon jetzt an, dass der vom Mensch verursachte Stress grosse Auswirkungen hat: In Kombination mit verlängerten Phasen, die die Vögel ausserhalb ihrer Iglus verbringen müssen und sie einem erhöhten Räuberdruck ausgesetzt sind, könnte dies erklären, weshalb die Bestände des Birkhuhns in den durch Wintersportaktivitäten stark gestörten Gebieten um durchschnittlich 30 bis 50 Prozent weniger dicht sind.

Prof. Arlettaz zieht daraus den Schluss: «Nur eine Politik der Schaffung von geeigneten winterlichen Ruhezonen wird es der alpinen Fauna langfristig erlauben, trotz des wachsenden Drucks der menschlichen Störungen in diesem sensiblen Ökosystem zu bestehen.» Seine Forschergruppe werde jetzt räumliche Modelle entwickeln, die es kartographisch ermöglichen würden, Prioritätsgebiete für solche Ruhezonen auszuscheiden. Von diesen dürften die gesamte Wildtierfauna – auch weniger bedrohte Arten als das Birkhuhn – profitieren.

Die Untersuchung wurde finanziell unterstützt durch den schweizerischen Nationalfonds und einen Interreg-Kredit des seco.

06.03.2007