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Wissen über das durchschnittliche Skelett verbessert chirurgische Eingriffe

In der Orthopädie hängt die Qualität chirurgischer Eingriffe stark davon ab, wie präzise Form und Position geschädigter Knochen gescannt werden können. Forschende der Universität Bern setzen dabei nun auf statistische Modelle zur Ermittlung des durchschnittlichen Skeletts bestimmter Personengruppen. Der neue, im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Co-Me entwickelte Ansatz könnte Strahlenbelastung und Kosten bei vielen Operationen senken.

Operationen am menschlichen Bewegungsapparat sind durch das Aufkommen der computerassistierten Navigationschirurgie in den letzten Jahren zunehmend präziser geworden. Knochenschienen oder -platten, aber auch Implantate und Prothesen können mit Hilfe dreidimensionaler Bildgebung zunehmend minimal invasiv und damit für die Patienten schonender eingesetzt werden. Diese sogenannte Schlüsselloch-Chirurgie vermeidet grosse Einschnitte. Dadurch verkürzt sich die Rehabilitationszeit, und Revisionsoperationen werden seltener notwendig. Beide Punkte helfen, die Kosten im Gesundheitswesen zu reduzieren.

Bildgebung und Computernavigation im Operationssaal sind allerdings technisch aufwändig und teuer, so dass sie derzeit nur in top-modernen Kliniken zum Einsatz kommen. Zudem sind dreidimensionale OP-Scanverfahren wie die Computertomographie mit einer nicht unerheblichen Strahlenbelastung und signifikanten Mehrkosten verbunden. Diesem Problemkreis widmet sich im Rahmen des NFS Co-Me eine Forschergruppe des Instituts für Chirurgische Technologie und Biomechanik am MEM Forschungszentrum der Universität Bern. Das Team unter der Leitung von Dr. Miguel Gonzalez Ballester wendet Methoden der Statistik und Modellrechnung an, um Chirurgen mit relativ geringem technischem Aufwand präzise Angaben über die Skelettformen von Patienten zu liefern.


Charakteristische Skeletteigenschaften ermitteln

Auf der Basis umfangreicher Sammlungen von Röntgenbildern und anderen medizinischen Scanverfahren ist es den Forschern gelungen, aus der Summe der Bilder durchschnittliche Knochenformen für bestimmte Personengruppen zu bestimmen. Dieses statistische Ausmitteln charakteristischer Skeletteigenschaften funktioniert am besten innerhalb von Ethnien, da sich verschiedene ethnische Gruppen (z.B. Menschen ostasiatischen Ursprungs oder Kaukasier) in Körpergrösse und Ausformung sowie Stärke des Knochenbaus voneinander unterscheiden. Das Resultat der Auswertungen liefert nicht nur Angaben über ein durchschnittliches Skelett, sondern vor allem auch wertvolle Informationen über typische anatomische Variationen, denen Chirurgen im OP-Alltag begegnen.

Neu entwickelte statistische Modellrechnungen erlauben nun aufgrund von zweidimensionalen Scans die Vorhersage einer dreidimensionalen Knochenform in ausreichender Präzision. «3D-Modelle der menschlichen Anatomie werden zur Zeit in der Praxis noch durch strahlungsbelastende Computertomographien oder teure Magnetresonanz-Bilder vor einem chirurgischen Eingriff ermittelt», erklärt Miguel Gonzalez Ballester. «Unser Ansatz soll es Ärzten ermöglichen, die Form und Position eines zu operierenden Knochens auf Basis einer simplen zweidimensionalen Röntgenaufnahme oder sogar mit Hilfe von Ultraschall-Bildern zu bestimmen.»

Zum Einsatz kommen könnte der neue Ansatz zuerst bei minimal invasiv durchgeführten Hüftimplantatsoperationen und in der Wirbelsäulenchirurgie. Die hinreichend genaue Vorhersage der dreidimensionalen Knochenform aufgrund von Standardröntgenbildern ermöglicht es Ärzten, Eingriffe auch in bescheiden eingerichteten Spitälern mittels schonender ‚Schlüsselloch-Chirurgie’ durchzuführen.


Besser angepasste Implantate

Ein weiteres Anwendungsgebiet des «statistischen Menschen» sehen die Wissenschaftler des MEM Forschungszentrums bei der Entwicklung, Evaluierung und Optimierung zukünftiger Implantate. Bislang werden orthopädische Implantate weitgehend auf der Basis von ingenieur-technischer Erfahrung und medizinischem Fachwissen entwickelt und in vorklinischen Studien manuell an Kadaverknochen angepasst.

Mit Hilfe der statistisch ermittelten Modelle, die auch Daten über die Knochendichte enthalten, können dagegen mechanische Eigenschaften neuer Implantate und wichtige Parameter – wie die optimale Positionierung, Länge und Orientierung von Fixierungsschrauben – bereits am Computer errechnet werden. Als nächster Schritt sind gar individuell an die Anatomie von Patienten angepasste Implantate denkbar.

23.10.2007