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Dies Academicus 2007: Über Universitäts-Reformen und Zweiklassenmedizin

An der 173. Stiftungsfeier sprach Felix Frey, Vizerektor Lehre, über die Medizin als Gemeingut. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver stellte die Teilrevision des Universitätsgesetzes vor. Die Fakultäten und die Universität verliehen acht Ehrendoktortitel und ernannten Alfred Bretscher zum Ehrensenator.

Die Universität Bern sei gewillt, «für die Gesellschaft relevante Problembereiche aufzunehmen und einen Beitrag zu deren Lösung zu liefern», sagte Rektor Urs Würgler in seiner Begrüssung. Dies zeigten drei Beispiele aus dem vergangenen Jahr: Zum einen die Gründung des «Oeschger Centre for Climate Change Research», das zu einem führenden Klimaforschungszentrum mit internationaler Ausstrahlung werden soll. Weiter die Gründung des «Artificial Organ Center for Biomedical Engineering Research» (ARTORG Center), in dem medizinische Forschung und Entwicklung in einer engen Zusammenarbeit zwischen Kliniken, Medizintechnikindustrie und anderen Partnern betrieben werden soll. Drittens der Ausbau des Kompetenzzentrums für Public Management (KPM), mit dem die Universität Bern ihr Engagement im Bereich der öffentlichen Verwaltung verstärkt.

Auch die Zusammenarbeit mit anderen Universitäten werde vorangetrieben, so Würgler: Namentlich ein Kooperationsprojekt mit der Universität Neuenburg, in dem die dort ansässige Teilchenphysik im nächsten Jahr nach Bern transferiert werden soll.


Behutsame Reformen gefordert

Erziehungsdirektor Bernhard Pulver sprach in seiner Rede zur Autonomie der Universität und machte erstmals die wichtigsten Inhalte der geplanten Teilrevision des Universitätsgesetzes – sozusagen «exklusiv» für die Anwesenden – publik: Die Finanzierung der Universität durch den Kanton werde durch Investitions- und Betriebsbeiträge erfolgen, wodurch die Universität mehr Freiräume, aber auch mehr Verantwortung im finanziellen Bereich erhalte. Zudem sollen die ordentlichen Professorinnen und Professoren künftig von der Universitätsleitung gewählt werden, da dem Regierungsrat dafür die wissenschaftliche Kompetenz fehle. Pulver rechnet damit, dass das neue Gesetz auf Anfang 2010 in Kraft treten könne. «Es herrscht eine Art Aufbruchstimmung, der Zeitpunkt für Veränderungen scheint gekommen», so Pulver. Eine Totalrevision lehnt die Regierung jedoch ab, weil sie nicht so schnell realisierbar wäre und die sich wandelnde Bildungslandschaft nur noch stärker beunruhigen würde.


Eine Absage an die Zweiklassenmedizin

In der Akademischen Rede sprach Felix Frey, Vizerektor Forschung, über Medizin als Gemeingut und warnte vor der schleichenden Einführung einer Zweiklassenmedizin in der Schweiz. Effiziente, sinnvoll angewendete Massnahmen zur Verlängerung des Lebens und zur Verbesserung der Lebensqualität würden sukzessive ein Privileg weniger Menschen mit viel Geld, so Frey. Medizinische Technologien seien aber von der öffentlichen Hand und im Hinblick auf die Allgemeinheit geschaffen worden und sollten deshalb auch Gemeingut bleiben.

Um eine Zweiklassenmedizin zu verhindern, nannte Frey mehrere Ansätze: Medizinische Massnahmen, die das Leben verlängern oder die Lebensqualität nach Unfall oder Krankheit substanziell verbessern, müssten genauer definiert werden – um diese Leistungen allen zugänglich machen zu können. Die medizinischen Fakultäten und Universitätskliniken müssen in ihrer Forschung unabhängig bleiben und nicht nur einen ethischen Diskurs führen, sondern ethisches Verhalten auch selber vorleben. Auch die Politik sei gefordert, indem sie sich mit der Grundfrage befassen solle, welchen Wert die Medizin für unsere Gesellschaft besitzt – statt sich weniger bedeutender Probleme anzunehmen wie der Frage, an welchem Standort einige seltene Operationen wie die Transplantation durchzuführen sind.


Plädoyer für Chancengleichheit und Demokratie 

Mit drei Herzenswünschen der Studierenden trat Adrian Durtschi als Präsident des StudentInnenrats vor die Festgemeinde. Als erstes sprach er sich aus für mehr Chancengleichheit beim Zugang zur Universität. Er forderte, dass Stipendien national einheitlich auf einem materiell existenzsichernden Niveau festgelegt würden. Als zweiten Punkt kritisierte Durtschi, dass die Universität Bern noch immer in Stände gegliedert sei. Insbesondere im Senat, wo die wichtigen Entscheidungen fallen, fehle eine demokratische Zusammensetzung: Professoren seien über-, Studierende hingegen massiv untervertreten. Er träume von direkter interner Demokratie: «Wieso wählen die Angehörigen der Universität ihren Rektor nicht selbst?». Drittens forderte Durtschi die Unileitung dazu auf, das Fächerangebot möglichst hoch zu halten, um nicht zur «Mainstream-Uni» zu verkommen. Aus kurzfristigen Begehrlichkeiten dürften keine Fächer verlagert werden, sprach er die kürzlich in Erwägung gezogene Schliessung der Soziologie an.

 
Neuer Ehrensenator und Ehrendoktortitel für den Erfinder des «ökologischen Fussabdruckes»

Die Universität Bern bekommt einen neuen Ehrensenator: Mit diesem Titel wurde Alfred Bretscher geehrt – «der Freund und Förderer», wie es in der Laudatio heisst. Der Berner Biologe und Gymnasiallehrer liess kürzlich der Universität Bern 4.5 Millionen Franken zukommen, die vorwiegend in die Klima- und Luftverschmutzungsforschung fliessen sollen. Alfred Bretscher steht der «Dr. Karl Bretscher Stiftung für Geographie» vor und ist Mitglied der Naturforschenden, der Zoologischen, der Geographischen und der Chemischen Gesellschaft. 

Dieses Jahr verliehen die Fakultäten acht Ehrendoktortitel: Die Philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät zeichnet Mathis Wackernagel als Erfinder und unablässigen Förderer der international anerkannten Methode des «ökologischen Fussabdruckes» aus. Die Theologin Tamara Grdzelidze wird von der Theologischen Fakultät als Pionierin gewürdigt, die im atheistischen und patriarchalen Georgien bei der Wiederherstellung theologischer Studien wirkte. Zwei Titel verleiht die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät: an Carlo Malaguerra für seine Reform und Erweiterung des schweizerischen statistischen Systems sowie an Walo Hutmacher, der sich für die Verbesserung des schweizerischen Bildungssystems einsetzt. Die Ehrungen der Medizinischen Fakultät fanden in Abwesenheit der Gewürdigten statt – wegen Krankheit. Leopold G. Koss wird für seine wegweisenden Arbeiten auf dem Gebiet der zytologischen Tumordiagnostik ausgezeichnet und als Anerkennung für seine fortdauernde Verbundenheit mit der Universität Bern, Hans-Georg Borst als Pionier der Aortenchirurgie und der Transplantation thorakaler Organe. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät würdigt William J. Davey für seine grundlegenden Arbeiten in der Entwicklung und Entfaltung des Streitbeilegungsverfahrens der WTO, dank dem zahlreiche Handelskonflikte auf friedliche Weise beigelegt werden konnten. Dem Sportpädagogen und ehemaligen Direktor des Bundesamts für Sport Heinz Keller verleiht die Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät den Ehrendoktortitel für seine Verdienste als Gestalter und Vermittler eines humanen und fairen Sports in der Schweiz.


Preise für ausserordentliche Leistungen in Lehre und Forschung 

Im Geiste eines ihrer grossen Forschers und Lehrers verleiht die Universität Bern den mit CHF 50'000.- Theodor-Kocher-Preis. Er geht in diesem Jahr an Christa E. Flück. Die Innerschweizerin spezialisierte sich nach dem Medizinstudium in pädiatrischer Endokrinologie und Diabetologie. Um das nötige Grundlagenwissen zu erlangen, entschied sie sich danach für einen Forschungsaufenthalt an der «University of California San Francisco», der «molekularbiologischen Wiege» vieler Gene der Steroidhormon-Biosynthese. Vor drei Jahren kehrte Flück an die Kinderklinik Bern zurück und baute eine eigene Forschergruppe auf. Zusammen mit ihrem Team studiert sie die Steroid-hormonregulation in Zellmodellen und bei Patienten.

Der Berner Umweltforschungspreis wird alle zwei Jahre für hervorragende wissenschaftliche Arbeiten verliehen, die einen gesellschaftlich relevanten Beitrag zum besseren Verständnis von Umweltproblemen bzw. deren Lösung leisten. In diesem Jahr geht der mit CHF 16'000.- Franken dotierte Preis ex aequo an Thomas Breu und Michael Schaub. Breu verfasste eine Dissertation über Dimensionen (nicht-)nachhaltiger Entwicklung im tadschikischen Pamirgebirge. Diese in der Entwicklungszusammenarbeit exemplarische Arbeit löste auch internationale Unterstützung für ein langfristig angelegtes Entwicklungsprogramm der Weltbank aus. Schaub wird für seine Habilitationsschrift zur Populationsdynamik von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten geehrt. Darin entwickelt er innovative Methoden, die trotz lückenhafter Datenlage ein kohärentes Bild der Populationsdynamik von dieser Arten ergeben. Dies ist für die Planung von Schutzmassnahmen unerlässlich.

Zusätzlich erhält Loretta Müller, Doktorandin am Institut für Anatomie, einen Anerkennungspreis für ihre hervorragende Diplomarbeit über die Wirkungsweise von Diesel- und Nanopartikeln im Körper des Menschen. Der Preis ist mit CHF 1'000.- dotiert.

Zum zweiten Mal wurde dieses Jahr der «Credit Suisse Award For Best Teaching» vergeben. Er geht an den Rechtsphilosophen Martino Mona, der seine Studierenden mit der diskursiven Suche nach der Gerechtigkeit im Recht und der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz begeistert hat.

01.12.2007