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Buntbarsche kooperieren – mit Kalkül

Bei bestimmten Buntbarschen helfen die kleineren Gruppenmitglieder den grösseren Brutpaaren bei der Aufzucht der Nachkommen. Um Konflikte zu vermeiden, wahren die Helfer zu den Brütern einen sicheren Grössenabstand: Sie wachsen langsam, wenn sie kleine Fischeltern unterstützen und schnell, wenn sie grossen Kollegen helfen. Doch warum helfen sie überhaupt? Ganz einfach: In der Familie sind die Helfer besser vor Fressfeinden geschützt. In Räuber-freien Zonen werden die Helfer dagegen zu Egoisten. Sie verlassen die Familie, um selbst zu brüten. Dass Buntbarsche derart strategisch und egoistisch handeln, zeigen Zoologen der Universität Bern nun in zwei Publikationen in Fachzeitschriften der «Proceedings of the Royal Society».

Manche Fischarten leben gemeinsam in einer Gruppe mit einer festgelegten Rangordnung. Bei den Tanganjikasee- Buntbarschen der Art Neolamprologus pulcher sind die Aufgaben abhängig vom Körperumfang klar geregelt: Die grössten Fische pflanzen sich fort, die kleineren dürfen dagegen nur bei der Aufzucht der Nachkommen, der Verteidigung und der Territorienpflege helfen. Die Grösse – Fische wachsen ihr Leben lang – spielt somit bei Buntbarschen, im Gegensatz zur Rangverteilung bei Säugetieren oder Vögeln, die wichtigste Rolle. Damit die Rangordnung intakt bleibt und um Konflikte zu vermeiden, wahren die Helfer einen sicheren Grössenabstand zu den Brütern: Sie verlangsamen ihr Wachstum und bleiben damit stets kleiner als die ranghöheren Gruppenmitglieder. Steigen sie jedoch in der Rangskala vom Helfer zum Brüter auf, legen sie augenblicklich enorm an Körpermasse zu. Das zeigen Dik Heg und seine Mitarbeiter von der Abteilung für Evolutionsökologie am Zoologischen Institut der Universität Bern nun in der Fachzeitschrift «Biology Letters» der «Proceedings of the Royal Society» (1).

Der «strategischen Wachstumsentscheidung» kamen die Verhaltensökologen im Labor auf die Spur: In einem ringförmigen Aquarium wurden 32 Buntbarsch-Gruppen zusammengestellt. In jeder Kammer schwammen ein Brutweibchen sowie zwei männliche Helfer. Zu 16 Gruppen setzten die Forscher im Vergleich zum Brutweibchen ein grösseres, zu den verbleibenden 16 Gruppen ein kleineres Brutmännchen. Die beiden Helfer waren unterschiedlich gross und beide kleiner als die Brüter. Alle Fische wurden gewogen und vermessen. Danach hatte jede Gruppe über 30 Tage lang Zeit für die Familienplanung. Anschliessend nahmen die Forscher erneut Mass. Das Ergebnis: Im Berner Aquarium nahmen die Helfer in Gesellschaft von gross gewachsenen Brutmännchen um fast ein Viertel mehr an Körperlänge zu als unter klein gewachsenen Kollegen. Bei der Analyse des Gewichts zeigte sich dagegen, dass alle Helfer ungefähr gleich viel zugenommen hatten – egal mit welchem Brutmännchen sie zusammen lebten. Bot sich einem Helfer die Gelegenheit selbst zu brüten, wurde er rasch länger und auch schwerer. Hegs Fazit: «Erst wenn die Buntbarsche selbständig sind, dürfen sie nach Lust und Laune wachsen.»

Warum helfen die Buntbarsche einander überhaupt? Um diese Frage zu klären, erkundeten Heg und Mitarbeiter das Verhalten der Fische in ihrer natürlichen Umwelt: im afrikanischen Tanganjikasee. Dieser riesige Binnensee grenzt an Sambia, Tansania, Kongo und Burundi. Dort stellten die Forscher fest, dass das Verhalten der Helfer keinesfalls selbstlos ist. Vielmehr sind die Helfer innerhalb der Familie viel besser vor Fressfeinden geschützt. Der Beweis: In experimentell von Räubern befreiten Zonen erweisen sich die Helfer als «egoistisch». Sie verlassen ihr Zuhause, errichten ein eigenes Territorium und pflanzen sich fort. Über diesen Einfluss von Raubdruck auf das Sozialverhalten der Buntbarsche berichten die Berner Forscher in der Zeitschrift «Proceedings of the Royal Society of London – Biological Sciences» (2).

Während zwei dreimonatigen Tauchexpeditionen am Tanganjikasee in Sambia erkundeten Heg und Kollegen den Buntbarsch der Art Neolamprologus pulcher in seiner natürlichen Umgebung. Mehrere hundert Tauchgänge in Tiefen von 9 bis 11 Metern waren nötig, um die Vorteile des Gruppenlebens bei diesen Buntbarschen zu beleuchten. Das Team konstruierte quadratische, zwei auf zwei auf zwei Meter grosse Käfige, in denen zwei oder drei Buntbarsch-Familien lebten. In jeden Käfig wurde ein mittelgrosser oder ein grosser Fressfeind oder aber kein Räuber dazu gesetzt. So konnte das Risiko von Feinden gefressen zu werden, frei manipuliert werden.

Zudem schufen die Verhaltensökologen in jedem Käfig die Möglichkeit, dass die Helfer ausziehen und unabhängig brüten konnten. Die Überlebensrate aller Fische, die Fortpflanzung und der Auszug der Helfer wurden regelmässig während des vier Wochen dauernden Experiments gemessen.

Die Ergebnisse: Sowohl die Überlebenschance aller Gruppenmitglieder wie auch der Fortpflanzungserfolg waren in der Anwesenheit von Fressfeinden niedriger als in den Kontrollkäfigen ohne Räuber. Die Helfer in den Käfigen ohne Feinde verliessen ihr Zuhause teils sehr rasch und gründeten ein eigenes Territorium, um dort selbst für Nachwuchs zu sorgen. Fünf von neun Ex-Helfern produzierten bereits innerhalb von vier Wochen eigene Nachkommen. «Wir konnten zeigen, dass Helfer nur dann kooperieren, wenn es sich für sie lohnt, zuhause zu bleiben», erklärt Heg. «Sobald keine Gefahr mehr droht, werden sie egoistisch und helfen nicht mehr bei der Brutpflege.»

Weitere Publikationen aus der Abteilung für Verhaltensökologie, die das Helfer-Verhalten der Buntbarsche als Modell für hoch entwickeltes Sozialverhalten erklären, werden in Kürze erscheinen.

04.11.2004