Rätsel um wichtige Blutdruckmedikamente gelöst

Harntreibende Medikamente werden seit 60 Jahren wirksam gegen Bluthochdruck eingesetzt. Doch sie erhöhen auch das Risiko, an Diabetes zu erkranken. Forschende der Universität Bern und des Inselspitals haben nun die Ursache dieser Nebenwirkung aufgezeigt und dabei auch neue Erkenntnisse zur Entstehung von Diabetes gewonnen.

Bluthochdruck ist ein weltweites Gesundheitsproblem. In der Schweiz hat bei den über 65-Jährigen jede zweite Person einen zu hohen Blutdruck. Dieser erhöht nachweislich das Risiko für schwerwiegende Folgeerkrankungen wie Demenz, Hirnschlag, Hirnblutung, Herzinfarkt oder Niereninsuffizienz. Gemäss Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation sind beispielsweise rund 54 Prozent der Schlaganfälle eine direkte Folge von Bluthochdruck. «Entsprechend gross ist der Bedarf an wirksamen, aber auch günstigen und breit verfügbaren Blutdrucksenkern – nicht zuletzt angesichts der älter werdenden Gesellschaft», erklärt Prof. Dr. med. Daniel Fuster vom Department for BioMedical Research der Universität Bern (DBMR) und Leitender Arzt an der Universitätsklinik für Nephrologie und Hypertonie des Inselspitals, Universitätsspital Bern.

Altbewährte Blutdrucksenker erhöhen Diabetes-Risiko

Harntreibende Medikamente, sogenannte Diuretika, aus der Gruppe der Thiazide waren die ersten wirksamen Blutdruckmedikamente überhaupt. Das war vor rund sechs Jahrzehnten. Noch heute gehören sie zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten und sind fester Bestandteil der medikamentösen Behandlung von Bluthochdruck. Daneben werden sie häufig bei Wasseransammlungen im Körper, bei sogenannten Ödemen, eingesetzt.

Thiazide sind weltweit erhältlich und äusserst preiswert. Sie kommen häufig in Kombination mit anderen Wirkstoffen zum Einsatz und senken wirksam den Blutdruck – und damit das Risiko für gefährliche Folgeerkrankungen. Doch Thiazide haben eine schwerwiegende Nebenwirkung: «Patientinnen und Patienten, die Thiazide einnehmen, haben je nach Studie ein um 20 bis 50 Prozent erhöhtes Risiko, einen Diabetes zu entwickeln. Das ist seit Langem bekannt. Doch der Grund dafür war bisher unklar», sagt Fuster. Ein Team aus Forschenden von der Universität Bern, der Universitätsklinik für Nephrologie und Hypertonie des Inselspitals und der Pädiatrischen Endokrinologie des Kinderspitals Zürich hat nun unter Fusters Leitung die Ursache für das Diabetes-Risiko der Thiazide untersucht. In Experimenten mit Zellkulturen und Mäusen konnten sie zeigen, dass Thiazide die Insulinausschüttung in spezifischen Zellen der Bauchspeicheldrüse hemmen. Dies sind die Zellen im Körper, die Insulin produzieren. Insulin ist ein Hormon, das sehr wichtig ist für den Stoffwechsel: es sorgt dafür, dass Zucker aus dem Blut als «Treibstoff» in die Körperzellen gelangt. Es ist auch das einzige Hormon, das den Blutzuckerspiegel im Lot hält, so dass dieser nicht zu hoch wird. Indem nun Thiazide die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse hemmen, stören sie die Insulinausschüttung, was zu erhöhtem Blutzucker führt und somit Diabetes auslösen kann.

Mechanismus erstmals beschrieben

Zuerst haben die Forschenden nachgewiesen, dass Thiazide auch bei Mäusen den Blutzucker deutlich erhöhen. In den anschliessenden Experimenten konnten sie zeigen, warum: Thiazide hemmen Carboanhydrase 5b – ein spezielles Enzym, das für die Ausschüttung von Insulin zentral ist. Enzyme sind komplexe Eiweisse, die biochemische Reaktionen in den Körperzellen beschleunigen. Durch die Hemmung dieses Enzyms wird der Stoffwechsel in den insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse gestört. Dies führt zu weniger Insulin im Blut und damit zu einem erhöhten Blutzucker.

Diesen in Zellkulturen entdeckten Zusammenhang konnten die Forschenden in Mäusen bestätigen: Tiere, die gentechnisch so verändert waren, dass bei ihnen Carboanhydrase 5b fehlt, hatten ebenfalls eine deutlich reduzierte Insulinausschüttung. Zudem zeigten Thiazide bei ihnen keine Nebenwirkungen. Damit ist klar, dass diese Nebenwirkungen nur dann auftreten, wenn Thiazide das Enzym Carboanhydrase 5b hemmen.

Neue Erkenntnis zur Entstehung von Diabetes

Normalerweise besitzt jede Körperzelle verschiedene Carboanhydrasen, die unterschiedliche Stoffwechselvorgänge unterstützen. Die nun im Journal of the American Society of Nephrology publizierte Studie von Fuster und Kolleginnen und Kollegen hat zum ersten Mal gezeigt, dass die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse in dieser Hinsicht eine grosse Ausnahme sind. Sie besitzen nur eine einzige Carboanhydrase, diejenige vom Typ 5b. Dieses Enzym scheint entscheidend für die normale Insulinausschüttung zu sein.

Damit hat das Forschungsteam nicht nur das lange bekannte, aber ungelöste Rätsel um den Diabetes-fördernden Effekt von Thiaziden gelüftet, sondern gleichzeitig neue Erkenntnisse zur Insulinausschüttung geliefert. Studienleiter Fuster denkt schon weiter: «Nun gilt es, die Funktion und Regulation der Carboanhydrase 5b in den insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse noch besser zu untersuchen, um so die Entwicklung von Diabetes beim Menschen besser zu verstehen und die Grundlagen für neue Behandlungsansätze zu legen. Denn genau wie der Bluthochdruck ist auch der Diabetes ein gravierendes weltweites Gesundheitsproblem.»

Diese Studie wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds (SNF), die Swiss National Centres of Competence in Research (NCCR TransCure und NCCR Kidney.CH), die Novartis Research Foundation und Stiftung Prof. Dr. Max Cloëtta finanziert.

Publikationsdetails:

Kucharczyk P, Albano G, Deisl C, Ho TM, Bargagli M, Anderegg M, Wueest S, Konrad D, Fuster DG. Thiazides attenuate insulin secretion through inhibition of mitochondrial carbonic anhydrase 5b in β-islet cells in mice. Journal of the Amercian Society of Nephroogy. 2023 Mar 1, publication ahead of print. https://doi.org/10.1681/ASN.0000000000000122

Department for BioMedical Research (DBMR)

Das Departement for BioMedical Research (DBMR) der Medizinischen Fakultät der UniversitätBern wurde von der Universität Bern und dem Inselspital, Universitätsspital Bern gemeinsam gegründet. Das DBMR ist in 13 Forschungsprogramme mit rund 100 teilnehmenden Einzellabors und mehreren unabhängigen Forschungslabors unterteilt, deren Forschung sich über allebiomedizinischen Bereiche erstreckt. Um die Lücke zwischen Labor und Krankenbett zu schliessen, fördert das DBMR klinische Forschung mit einem starken Schwerpunkt auf der Entwicklung translationaler Ansätze, dem Einsatz von «Omics» und anderen Spitzentechnologien sowie einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen laborgestützter undpatientenorientierter klinischer Forschung. Die DBMR setzt sich auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses ein.

Weitere Informationen: https://www.dbmr.unibe.ch/index_eng.html

17.05.2023