Zwei Berner Forscherinnen erhalten SNSF Advanced Grant

Die Neuropsychologin Katharina Henke und die Evolutionsbiologin Katie Peichel erhalten vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) je einen hochdotierten SNSF Advanced Grant. Ihre Forschungsprojekte beschäftigen sich mit dem Erinnerungsvermögen trotz Amnesie und der Vorhersehbarkeit der Evolution.

Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) unterstützt mit den SNSF Advanced Grants Forschende, die einen herausragenden akademischen Leistungsausweis für die vergangenen zehn Jahre vorweisen können und in ihrer Disziplin entsprechend anerkannt sind. Gefördert werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in der Schweiz innovative, risikoreiche Forschung betreiben möchten. Mit den SNSF Advanced Grants werden Beiträge von maximal CHF 2,5 Millionen für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren vergeben.

Die SNSF Advanced Grants wurden 2021 ins Leben gerufen, um eine Übergangslösung anzubieten für Forschende, die einen ERC Advanced Grant im Rahmen von Horizon Europe beantragen wollten. Zurzeit können sich Forschende von Schweizer Institutionen nicht für ERC Grants bewerben, da die Schweiz beim EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» als nicht-assoziierter Drittstaat gilt.

Erfolgreiche Projekte aus der Gedächtnis- und Evolutionsforschung

An der Universität Bern erhalten in der aktuellen Ausschreibung mit Prof. Dr. Katharina Henke, Professorin am Institut für Psychologie, und Prof. Dr. Catherine (Katie) Peichel, Direktorin der Abteilung für Evolutionsökologie am Institut für Ökologie und Evolution, zwei Forscherinnen einen solchen hochdotierten Grant. Die Forschungsprojekte beschäftigen sich mit dem Erinnerungsvermögen trotz schweren Gedächtnisstörungen bzw. der Vorhersehbarkeit der Evolution.

«Beide Forschungsprojekte sind äusserst innovativ. Es freut mich sehr, dass die zwei renommierten Wissenschaftlerinnen erfolgreich waren mit ihrer Bewerbung um diese gewichtige Forschungsförderung des SNF», sagt Hugues Abriel, Vizerektor Forschung der Universität Bern. «Es ist jedoch besorgniserregend, dass sich Forschende aus der Schweiz weiterhin nicht für ERC-Grants bewerben können. Die Forschung ist auf Vernetzung und internationale Zusammenarbeit angewiesen.»

Die Projekte von Katharina Henke und Katie Peichel:

Bewusstes Erinnern trotz Amnesie

Prof. Dr. Katharina Henke, Professorin am Institut für Psychologie, erhält einen SNSF Advanced Grant in der Höhe von CHF 1,7 Millionen für ein Forschungsprojekt im Bereich der Gedächtnisforschung. Die Laufzeit des Projekts beträgt fünf Jahre.

Gemäss Lehrmeinung werden neu erlebte Episoden bei schweren Gedächtnisstörungen (Amnesien) nicht länger abgespeichert. Hier untersucht das Team von Katharina Henke, ob Erlebtes trotz Amnesie weiterhin abgespeichert wird, aber nur mehr unbewusst erinnerbar ist. Mittels Hirnstimulation werden die Gedächtnisspuren gestärkt, um ein bewusstes Erinnern herbeizuführen.

Das Projekt ist inspiriert durch Forschung am Maus-Modell für Amnesie. Diese zeigte, dass episodisches Lernen trotz Amnesie und Demenz unbewusst möglich ist, weil physische Gedächtnisspuren von neuen Erinnerungen vorliegen. Diese Gedächtnisspuren beherbergten den kompletten Informationsgehalt, waren aber nicht bewusstseinsfähig. Diese Gedächtnisspuren konnten optogenetisch verstärkt werden mit dem Resultat, dass die amnestischen Tiere ihre Erinnerungen abrufen konnten.

In diesem Humanforschungsprojekt bildet das Henke-Team individuelle Gedächtnisspuren im Gehirn von gesunden und amnestischen Menschen ab mit Hilfe der Ultra-Hochfeld Magnetresonanztomographie. Das Team führt funktionelle, strukturelle und spektroskopische Magnetresonanztomographie durch, um die dynamischen Veränderungen von frisch gebildeten Gedächtnisspuren über 24 Stunden zu verfolgen. Mittels nichtinvasiver Hirnstimulation wird die Gedächtnisbildung verstärkt. Wenn amnestische Patientinnen und Patienten weiterhin lernen und wenn dieser Lernprozess durch Hirnstimulation verstärkt werden kann bis zur bewussten Erinnerung, dann wird diese Entdeckung Gedächtnistheorien und Amnesie-Modelle revidieren sowie neue diagnostische und therapeutische Strategien für Amnesie anstossen. Diese Ergebnisse werden die Wahrnehmung und die Behandlung amnestischer Patientinnen und Patienten in unserer Gesellschaft positiv verändern.

Über Katharina Henke:

Katharina Henke studierte an der Universität Bern Psychologie und Neurowissenschaft, absolvierte simultan eine Tanzausbildung, und promovierte 1992 an der Universität Konstanz in Neuropsychologie zu Unbewusster Wahrnehmung. Am Universitätsspital Zürich wirkte sie als klinische und experimentelle Neuropsychologin. 1995-1997 setzte sie sich als Postdoc an der University of California Davis mit bildgebenden Verfahren auseinander und entdeckte die Funktion des Hippocampus im menschlichen Gedächtnis. Am Unispital Zürich arbeitete sie weiter klinisch und experimentell. 2015 wurde sie Professorin an der Universität Bern. Ihre innovativen Experimente zum unbewussten Lernen stellten Lehrbuch-Gedächtnismodelle in Frage. Seit 2010 löst ihr eigenes Gedächtnismodell etablierte Gedächtnismodelle ab.

Können wir den Verlauf der Evolution vorhersagen?

Prof. Dr. Catherine (Katie) Peichel, Direktorin der Abteilung für Evolutionsökologie am Institut für Ökologie und Evolution, hat einen SNSF Advanced Grant von CHF 2,6 Millionen für ein fünfjähriges Projekt im Bereich der Evolutionsbiologie erhalten.

Eine wichtige Frage in der Evolutionsbiologie lautet: Wie vorhersehbar ist die Evolution? Wenn wir ähnliche Ausgangspopulationen in ähnlichen Umgebungen platzieren und dann beobachten, wie die Evolution abläuft, würde sich dann jede Population auf vorhersehbare Weise entwickeln? Oder ist die Evolution grundsätzlich unvorhersehbar und wird von Zufallsereignissen dominiert? Experimente zur Überprüfung der Vorhersagbarkeit der Evolution wurden im Labor mit Bakterien und anderen Mikroorganismen durchgeführt, aber noch nie mit Wirbeltieren in realen Ökosystemen in der Natur.

Genau ein solches Experiment hat Catherine Peichel mit ihrem internationalen Team für dieses Projekt aufgebaut. Sie und ihr Team werden die Genome von 10’000 Dreistachligen Stichlingen sequenzieren, die in acht leere Seen in Alaska ausgesetzt wurden. Anhand dieser genetischen Daten der Fische und des Wissens über die Ökologie der Seen wird sie dann feststellen können, ob sich die Genome und Phänotypen der Fische im Laufe der Generationen auf wiederholbare und vorhersehbare Weise verändern.

Zu wissen, warum die Evolution wiederholbar und vorhersehbar ist (oder nicht), ist von grundlegender Bedeutung. Wenn die Evolution vorhergesagt werden könnte, wüsste man, wann sich ein Virus so weit entwickelt, dass es seinem Impfstoff entgehen kann, wie sich Schädlinge entwickeln, um resistent gegen Pestizide zu werden, oder ob eine bestimmte Art den Klimawandel überleben wird.

Über Katie Peichel

Katie Peichel ist in Kalifornien aufgewachsen und schloss 1991 ihr Studium an der University of California, Berkeley, ab. In ihrer Dissertation an der Princeton University befasste sie sich mit Verfahren zur Identifikation von Genen, die für die Organismen-Entwicklung wichtig sind. Ausgehend von dieser Forschung interessiert sie sich für den Einsatz ähnlicher Verfahren für die Untersuchung der genetischen Grundlagen der phänotypischen Vielfalt in der Natur (der Phänotyp bezeichnet in der Genetik das Erscheinungsbild). 1998 nahm Peichel eine Postdoktoratsstelle an der Stanford University an. Dort war sie daran beteiligt, den dreistachligen Stichling als genetisches Modell für die Erforschung der Evolution zu etablieren. Zwischen 2003 und 2016 war sie Professorin an der University of Washington und leitete ein Forschungslabor am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle. Seit 2016 ist sie ordentliche Professorin für Evolutionsbiologie an der Universität Bern. 

07.07.2022