Ratten können den Hunger riechen

Wanderratten duften anders, wenn sie hungrig sind, als wenn sie satt sind. Anhand dieser Geruchsinformationen entscheiden die Nagetiere, hungrigen Artgenossen schneller zu helfen, an Futter zu kommen, als den satten Tieren. Dies zeigt eine neue Studie von Forschenden der Universität Bern und den Universitäten Neuenburg und Potsdam.

Sie teilen miteinander das Futter oder putzen sich gegenseitig das Fell: Wanderraten sind sehr soziale Tiere. Sie helfen sich aber nicht bedingungslos. Die Nager wägen zuerst Kosten und Nutzen ab. Sie helfen sich also reziprok – gemäss dem Motto «Wie Du mir, so ich Dir».

Um an Futter zu kommen, «betteln» Wanderratten bei ihren Artgenossen mit Rufen und Gesten. Diese Kommunikationsform macht aber eine Priorisierung schwierig: Wer hat wirklich Hunger und benötigt dringend Futter, und wer täuscht nur vor und versucht, nur noch mehr Futter einzuheimsen? Eine verlässlichere Information ist in diesem Fall der Geruch der bettelnden Ratte. Denn hungrige Ratten riechen offenbar anders als satte Tiere. In einer neuen Studie zeigen Forschende der Universität Bern und der Universitäten Neuenburg und Potsdam, dass Ratten anhand von Geruchsinformationen entscheiden, wie schnell sie welchen Artgenossen helfen, an Futter zu kommen. Die Studie wurde im Open Access Journal PLOS Biology publiziert.

Der Geruch des Hungers

In einem Experiment versorgten die Forschenden Ratten mit Geruchssignalen entweder von hungrigen oder satten Artgenossen, die sich in einem anderen Raum befanden. Die Ratten konnten anschliessend einer anderen anwesenden Ratte Hilfe leisten, schneller an Futter zu kommen, indem sie ein Tablett mit Futter zu dieser hinzogen. «Wir stellten fest, dass die Ratten schneller Hilfe leisteten, wenn sie Geruchssignale von einer hungrigen Ratte erhielten als von einer satten Ratte», erklärt Karin Schneeberger, die diese Studie in der Ethologischen Station Hasli der Universität Bern, unter der Leitung von Prof. Michael Taborsky vom Institut für Ökologie und Evolution, durchgeführt hat. Zurzeit ist Schneeberger als Post-Doc an der Universität Potsdam tätig.

Kein Täuschungsmanöver möglich

Gregory Röder von der Universität Neuenburg analysierte danach die Luft in der Umgebung der Ratten. Er konnte sieben verschiedene flüchtige organische Verbindungen identifizieren, die je nachdem entweder bei einer hungrigen oder einer satten Ratte häufiger vorkamen. Diese Geruchssignale könnten direkt von kürzlich aufgenommenen Nahrungsquellen, von Stoffwechselprozessen bei der Verdauung, oder von einem mutmasslichen Pheromon stammen, das Hunger anzeigt. «Im Gegensatz zu Rufen und Gestik ist es unwahrscheinlich, dass die Ratten diese Gerüche zu ihrem Vorteil steuern und somit die andern täuschen können. Damit stellen sie für die Artgenossen eine ‘ehrliche Information’ bereit, auf die sich diese sich verlassen können bei der Entscheidung, wie schnell sie ihnen helfen wollen», so Schneeberger.

Angaben zur Publikation:

Schneeberger K, Röder G, Taborsky M (2020) The smell of hunger: Norway rats provision social partners based on odour cues of need. PLoS Biol 18(3): https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3000628
https://journals.plos.org/plosbiology/article?id=10.1371/journal.pbio.3000628

 

24.03.2020