Berner Forschende berechnen wirtschaftliche Folgen des Lockdowns aus der Reduktion des Stromverbrauchs

Die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus führten zu einem wirtschaftlichen Einbruch in der Schweiz. Anhand von Daten zum Stromverbrauch konnten Forschende des Kompetenzzentrums für Public Management (KPM) der Universität Bern diesen Einbruch nun in Echtzeit quantifizieren. Die Studie schliesst vom Rückgang des Stromkonsums auf einen wirtschaftlichen Produktionsrückgang zwischen 7 und 11 Prozent während des Lockdowns in der Schweiz.

Um die Ausbreitung des Coronavirus in der Schweiz einzudämmen, wurden teils drastische Massnahmen ergriffen – mit negativen Folgen für die Schweizer Wirtschaft. Informationen über den aktuellen Zustand der Volkswirtschaft liefert die Analyse der stündlichen Stromlast. «Während konventionelle ökonomische Indikatoren wie etwa die Entwicklung des Bruttoinlandproduktes nur zeitverzögert zur Verfügung stehen, stellt der stündliche Elektrizitätsverbrauch die wirtschaftliche Situation in Echtzeit dar», erklärt Doina Radulescu, Dozentin und assoziierte Professorin für «Staat und Markt» am Kompetenzzentrum für Public Management (KPM) der Universität Bern. In einer Studie hat sie zusammen mit Doktorand Benedikt Janzen die Auswirkungen des Lockdowns auf den Elektrizitätskonsum in der Schweiz und in den einzelnen Kantonen analysiert, um Aussagen über die wirtschaftlichen Folgen der politischen Interventionen abzuleiten.

Produktion schrumpfte im Lockdown um 7-11%

Um den Rückgang des stündlichen Elektrizitätskonsums unverfälscht zu analysieren, verwendeten die Autoren Daten zur stündlich verbrauchten Energie, welche von Swissgrid zur Verfügung gestellt wurden. Die Forschenden bereinigten die Daten zunächst, indem sie die Aussentemperaturen sowie zeitliche Einflussfaktoren wie Feiertage, Wochentage und Uhrzeiten kontrollierten. Es zeigte sich: Die schweizweite Stromnutzung nahm von Beginn des Lockdowns bis hin zu den ersten Lockerungen vom 26. April um 4.6% ab. Werden nur Werktage analysiert, beträgt der Rückgang der Stromlast sogar 7.4%. «Nimmt man kurzfristig eine direkte Beziehung zwischen Elektrizitätsverbrauch und Produktion an, bedeutet ein Rückgang des Elektrizitätskonsums von 4.6% umgerechnet einen Produktionsrückgang im Industrie-, Transport-, Dienstleistungs- und Landwirtschaftssektor von etwa 7%», sagt Radulescu. Diese Aussage liesse sich treffen unter den Annahmen, dass zwei Drittel des Elektrizitätskonsums in der Schweiz den Unternehmen zugeschrieben werden können. Werden nur die Werktage betrachtet, bedeute der Rückgang der stündlichen Stromlast von 7.4%, dass die Produktion um rund 11% abnahm. «Mit der schrittweisen Lockerung der Massnahmen erreichte auch der Elektrizitätskonsum langsam wieder sein Ausgangsniveau», so Ko-Studienautor Benedikt Janzen. Wenn man die Änderung im Vergleich zu 2019 über den längeren Zeitraum zwischen Januar und September betrachtet, so beträgt die Reduktion der Stromlast 2%, was einen Outputrückgang von etwa 3% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Auch in diesem Fall fällt der Rückgang stärker aus, wenn man nur die Werktage betrachtet: Die Abnahme des Stromverbrauchs beträgt 2.8% und der Produktionsrückgang im Industrie-, Transport-, Dienstleistungs- und Landwirtschaftssektor somit etwa 4.2%.

Grosse Stromreduktion in Kantonen mit starkem Dienstleitungssektor

Die schweizweiten Massnahmen hatten regional stark unterschiedliche Auswirkungen auf die stündliche Stromlast: Während im Norden und Osten der Schweiz die Reduktion am geringsten ausgeprägt war, verzeichneten vor allem die Kantone im Westen und Süden einen starken Rückgang des Elektrizitätskonsums. «Die Unterschiede lassen sich vor allem dadurch erklären, dass die Massnahmen unterschiedlich streng umgesetzt wurden und dadurch, dass einzelne Kantone weitere Massnahmen ergriffen», betont Radulescu. «Zudem beeinflusst die wirtschaftliche Struktur eines Kantons die Höhe des Lastrückgangs», so die Ökonomin weiter. Eine besonders starke Stromreduktion verzeichneten also Kantone, die entweder zusätzlich zu den Massnahmen des Bundes weitere Einschränkungen eingeführt haben – wie etwa das Tessin – oder Kantone, deren Wirtschaft durch den verhältnismässig stark eingeschränkten Dienstleistungssektor geprägt sind. Die Reduktion in industrielastigen Kantonen fiel hingegen geringer aus. So war der Rückgang im Kanton Wallis mit 17.3% am drastischsten ausgeprägt, während in den industrialisierten Kantonen Basel-Land und Basel-Stadt eine Reduktion der stündlichen Stromlast um nur 3.8% zu beobachten war.

Reduktion der CO2-Emissionen aus Stromimporten

Die drastische Reduktion der Stromnachfrage beeinflusste auch die bei der Stromproduktion freigesetzten CO2-Emissionen. Zwar wird der Strom in der Schweiz hauptsächlich durch Wasser- oder Kernkraft erzeugt und ist damit eher emissionsarm. In den Wintermonaten und im Frühjahr wird jedoch auch Strom aus anderen Quellen aus dem benachbarten Ausland importiert, um den hiesigen Bedarf zu decken. In den sechs Wochen nach Beginn des Lockdowns sanken die CO2-Emissionen je importierter Kilowattstunde um 32.7%. «Grund dafür ist die verringerte Nachfrage nach Strom sowie die vorteilhaften Wetterbedingungen für erneuerbare Energien», sagt Benedikt Janzen. Beides führte dazu, dass es zu einem Überangebot an Strom kam, die Elektrizitätspreise stark sanken und fossile Energieträger aus dem Markt verdrängt wurden. Dies hatte vor allem in Deutschland eine zeitweilig starke Veränderung des Produktionsmix hin zu erneuerbaren Energieträgern als Folge.

Homeoffice verlagert wirtschaftliche Aktivität

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass gerade in Krisenzeiten Schätzungen des Bruttoinlandsproduktes fehlerbehaftet sind und oft nach unten revidiert werden müssen. «Ein Blick auf den Elektrizitätsverbrauch kann hier Abhilfe leisten. Wie bereits in anderen Studien belegt, stellt der Elektrizitätskonsum einen geeigneten Indikator der wirtschaftlichen Aktivität eines Landes dar», erklärt Radulescu. Allerdings dürfe dabei nicht vergessen werden, dass es durch Homeoffice zu einer teilweisen Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivität weg von den Unternehmen hin zu den Haushalten gekommen ist. Im Hinblick auf die Reduktion der CO2-Emissionen – die weltweiten Emissionen etwa in Zusammenhang mit Elektrizitätsproduktion oder Verkehr – sei zu erwarten, dass diese nur von temporärer Natur sind. «Wenn eine Verlangsamung von Investitionen und Innovationen im Bereich umweltfreundlicher Technologien wegen der wirtschaftlichen Krise stattfindet und Klimaziele weniger Priorität erhalten, so kann es sein, dass die kurzfristigen Reduktionen langfristig durch einen Anstieg aufgehoben werden», so Radulescu.

Publikationsdetails: 

Janzen, B. und Radulescu, D. (2020), «Electricity Use as a Real-Time Indicator of the Economic Burden of the COVID-19-Related Lockdown: Evidence from Switzerland», CESifo Economic Studies, 66 (4), 1-19. DOI: https://doi.org/10.1093/cesifo/ifaa010

Kompetenzzentrum für Public Management

Das Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern wurde 2002 gegründet. Als interfakultäre Einheit, angesiedelt zwischen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen und der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, sieht es sich der Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen Recht, Ökonomie und Politikwissenschaft verpflichtet. Kernprodukt des Kompetenzzentrums ist ein Nachdiplomstudiengang mit Masterdiplom (MPA). Ein zweites wichtiges Standbein des neuen Kompetenzzentrums ist die Grundlagenforschung im Bereich der Verwaltungswissenschaften. Weiter werden Dienstleistungen für die öffentliche Hand in Form von Beratungen, Gutachten und Evaluationen erbracht.

Weitere Informationen: www.kpm.unibe.ch

27.11.2020