Französische Jagdtradition bedroht den Ortolan in Westeuropa

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern untersuchte in einer gross angelegten Studie die Migration und Demographie des Ortolans in ganz Europa. Diese Zugvogelart hat einen dramatischen Rückgang in Nord- und Westeuropa erlebt. Die neusten Forschungsresultate zeigen, dass die traditionelle Jagd in Westfrankreich auf diesen unter Schutz stehenden Vogel dazu beigetragen hat, dessen westeuropäische Populationen an den Rand des Aussterbens zu bringen.

Der Ortolan ist ein Singvogel aus der Familie der Ammern. Speziell in Frankreich gelten gemästete Ortolane («Fettammern») als Delikatesse und die Jagd auf diese Zugvögel hat gerade in Frankreich Tradition. Für Naturschutzverbände jedoch ist der Ortolan eine bejagte, aussterbende Art. Die Europäische Kommission hat Frankreich aufgefordert, dieser Jagd ein Ende zu setzen, und hat das Land im Dezember 2016 wegen Nichteinhaltung der Vogelschutzrichtlinie beim Gerichtshof der Europäischen Union angeklagt. Eine neue Studie unter Beteiligung der Universität Bern zeigt nun die Auswirkungen der Ortolanjagd in Frankreich auf den Bestand dieser gefährdeten Vogelart. Die Erkenntnisse haben bereits zu einer politischen Reaktion geführt: Die Europäische Kommission hat ihre Klage gegen Frankreich mittlerweile zurückgezogen, weil Frankreich diese Jagd auf seinem Territorium inzwischen verboten hat.

Untersuchungen bis in den Mittleren Osten

Bereits im Jahr 2012 erteilte das französische Umweltministerium dem Muséum national d’Histoire naturelle in Paris den Auftrag, in Zusammenarbeit mit den lokalen Jägerschaften eine Studie zu erarbeiten, welche Herkunft und Populationszustand der jeweils im Herbst durch Frankreich ziehenden Ortolane untersuchen sollte. Fréderic Jiguet, Professor am Muséum national d’Histoire naturelle, stellte daraufhin ein internationales Forschungsteam zusammen, dem auch Raphaël Arlettaz, Professor am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern, angehört. Die Forschenden haben in ganz Europa Ortolane eingefangen, markiert und vier Jahre lang deren Routen verfolgt – von Spanien bis Russland und von Finnland bis in den Nahen Osten. So konnten sie die aktuellen Populationsgrössen, Zugwege und Überwinterungsgebiete der Ortolane ermitteln.

Jagd auf Ortolane führt zu Rückgang

Die Ergebnisse der Studie wurden in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht: Von den 17 Millionen Ortolanen in ganz Europa kommen nur etwa 300’000 in den Südwesten Frankreichs. Eine jährliche Entnahme mehrerer Tausend Ortolane in Frankreich (30’000 Vögel pro Jahr in den 1990er-Jahren) ist daher beträchtlich. Ortolan-Populationen aus Skandinavien fliegen im Herbst durch Frankreich nach Afrika. Diese Ortolan-Populationen schrumpfen deutlich mehr als diejenigen des Mittelmeergebiets und aus Osteuropa: der nord- und westeuropäische Bestand, dessen Vögel durch Frankreich ziehen, ging seit Beginn der 2000er-Jahre um weitere 30% zurück, während der Rückgang im restlichen Europa nur zwischen 10% und 20% betrug. «Wir schätzen, dass diese Entnahme in Frankreich, und vielleicht auch anderswo im Mittelmeerraum, die Erklärung für einen grossen Anteil des langfristig dramatischen Rückgangs – minus 80% in Westeuropa – der Ortolane ist», sagt Raphaël Arlettaz.

Gemäss den Untersuchungen der Universität Bern und der Schweizerischen Vogelwarte Sempach war der Ortolan in der Schweiz noch in den Jahren 1978-79 in den Alpentälern (Wallis, Graubünden) und im Genfer Becken gut verbreitet. Das letzte territoriale Männchen wurde im Zentralwallis 2016 beobachtet. Seitdem brütet die Art in der Schweiz nicht mehr. «Damit hat die Schweiz eine schöne Charakterart seiner Fauna verloren. Die Erosion der einheimischen Biodiversität setzt sich fort. Wird die Aufhebung der Ortolanjagd in Frankreich dazu führen, dass der westeuropäische Bestand wieder zunimmt und auch die Schweiz neuerlich rekolonisiert wird? Vielleicht fehlen dafür mittlerweile geeignete Bruthabitate in unserer modernen Landschaft», sagt Raphaël Arlettaz.

Die Politik reagiert

Im oft angespannten Umfeld zwischen Naturschutzverbänden und Jägerinnen und Jägern konnte das kooperative europäische Forschungsprojekt einen objektiven wissenschaftlichen Beitrag leisten für den politischen Entscheidungsprozess: Der französische Staat hat entschieden, den Schutz der Ortolane nun strikt durchzusetzen. Der Jagdverband des französischen Départments Landes, der diese Studie mitfinanziert hatte, hat die Verantwortung übernommen und von den Ortolanjägern verlangt, ihre Tätigkeit einzustellen. Die Europäische Kommission hat ihre Klage gegen Frankreich zurückgezogen. Raphaël Arlettaz ist erfreut über diese Entwicklung: «Wir hoffen, dass diese politischen Entscheidungen dazu führen, dass die Tradition der Ortolanjagd endgültig verschwindet, bevor sie zur Ausrottung dieser Vögel in West- und Nordeuropa führt.»

Publikationsdetails:

Jiguet F, Robert A, Lorrillière R, Hobson KA, Kardynal KJ, Arlettaz R, Bairlein F, Belik V, Bernardy P, Copete JL, Czajkowski MA, Dale S, Dombrovski V, Ducros D, Efrat R, Elts J, Ferrand Y, Marja R, Minkevicius S, Olsson P, Pérez M, Piha M, Raković M, Schmaljohann H, Seimola T, Selstam G, Siblet J-P, Skierczyǹski M, Sokolov A, Sondell J, Moussy C (2019). Unravelling migration connectivity reveals unsustainable hunting of the declining ortolan bunting. Science Advances 2019; 5, 22 May 2019.

Weitere Studien der Universität Bern Bern zum Ortolan: http://www.cb.iee.unibe.ch/research/ortolan_bunting/index_eng.html 

 

22.05.2019