Ältestes Eis der Erde soll Rätsel der Klimageschichte lösen

Ein europäischer Forschungsverbund, an dem auch die Universität Bern beteiligt ist, will in der Antarktis nach 1,5 Millionen Jahre altem Eis bohren. Die Analyse der im Eis gespeicherten Klimadaten soll zum besseren Verständnis des Wechselspiels zwischen Warm- und Kaltzeiten beitragen.

Drei Jahre lang haben Expertinnen und Experten von 14 Institutionen aus zehn europäischen Ländern im Rahmen des EU-Projekts «Beyond EPICA – Oldest Ice» den antarktischen Eisschild durchkämmt, um den idealen Standort für die Bohrung nach dem ältesten Eis der Erde zu finden. Nun wurde ein Standort gefunden und das Konsortium hat seine Wahl heute an der Jahresversammlung der European Geoscience Union (EGU) in Wien vorgestellt.

Die Forscherinnen und Forscher haben für ihre Bohrung einen der unwirtlichsten und unbelebtesten Orte auf der Erde ausgewählt: «Little Dome C» liegt rund 30 Kilometer – oder einige Stunden per Schneemobil – von der Concordia-Forschungsstation in der Antarktis entfernt. Die Station liegt auf 3233 Metern über Meer, die Niederschläge sind extrem gering und die mittlere Jahrestemperatur beträgt frostige -54,5 °C. Die Temperaturen steigen nie über -25 °C und können im Winter bis auf -80 °C fallen.

Weltrekord an der Universität Bern

Die Concordia-Station spielte für die Klimaforschung bereits zuvor eine wichtige Rolle. Im Projekt EPICA (European Project for Ice Coring in Antarctica) wurde dort zwischen 1996 und 2004 bis in eine Tiefe von 3270 Metern ins antarktische Eis gebohrt. Die detaillierte Analyse dieses Eiskerns an der Universität Bern ermöglichte die Rekonstruktion der CO2-Konzentration über die letzten 800'000 Jahre – ein Weltrekord. «Dieser Zeitraum ist durch Eiszeiten geprägt, die alle rund 100'000 Jahre von relativ kurzen Warmperioden unterbrochen wurden, wie jene, in der wir heute leben», erklärt Hubertus Fischer vom Oeschger-Zentrum der Universität Bern: «Die CO2-Konzentrationen ändern sich dabei im Gleichklang: geringe Werte in Eiszeiten, hohe Werte in Warmperioden.» Fischer ist Professor für experimentelle Klimaforschung und Leiter des Schweizer Teams in Beyond EPICA – Oldest Ice.

Vor rund einer Million Jahren, also vor der durch die bisherigen Eiskernanalysen abgedeckten Zeitperiode, fand jedoch eine dramatische Veränderung statt in diesem Hin und Her. Dies zeigen Untersuchungen von Meeressedimenten. In der Zeit vor ca. 900‘000 Jahren wechselten sich nämlich Eiszeiten und Warmphasen in viel kürzeren Abständen von rund 40'000 Jahren ab. Weshalb es zu diesem Wandel kam, ist ein Rätsel. Die Klimaforschung vermutet, dass Treibhausgase dabei eine entscheidende Rolle spielten. Die Analyse der im ältesten Eis der Erde eingeschlossenen Gase könnte das Rätsel lösen. «Nachdem wir die 800‘000 Jahre alten Proben des EPICA-Eiskerns analysiert haben, gibt es also genug Gründe, einen Eiskern zu bohren, der mindestens 1,5 Millionen Jahre zurück reicht», sagt der Koordinator von Beyond EPICA – Oldest Ice, Olaf Eisen vom Alfred Wegener Institute (AWI) in Bremerhaven.

Neue, materialsparende Analysetechnologie

Hubertus Fischers Forschungsgruppe hat sich auf die Analyse von Treibhausgasen in Eiskernen spezialisiert und wird bei der Auswertung des neuen Bohrkerns eine entscheidende Rolle spielen. «Mit Hilfe von Luft, die im Eis in kleinen Blasen gefangen ist, können wir bestimmen, wie sich die Konzentrationen von CO2 oder Methan über die Zeit verändert haben», sagt Fischer. Eiskerne aus der Antarktis sind das einzige Klimaarchiv, die das ermöglichen. Zurzeit wird in Bern dazu ein völlig neues Analyseverfahren entwickelt. Das Besondere daran: Alle Treibhausgase können mit einer einzigen Analyse gleichzeitig gemessen werden. Mehr noch, die aus den kostbaren 1,5 Millionen Jahre alten Eisproben extrahierte Luft geht bei den Messungen nicht verloren, sondern kann danach für weitere Forschungsarbeiten verwendet werden.

Resultate ab 2025 erwartet

Um den besten Bohrstandort zu ermitteln, hatten die Forschenden unter anderem Radaruntersuchungen der unter der Oberfläche liegenden Eisschichten durchgeführt. Zudem machten sie Probebohrungen bis auf eine Tiefe von 400 Metern. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen erlaubten es, Schlüsse über die tiefer gelegenen und damit älteren Eisschichten zu ziehen. Der ideale Bohrstandort muss drei Kriterien genügen: Erstens muss sich dort bis in 1,5 Millionen Jahre tiefes Eis bohren lassen, das heisst das Eis darf nicht aufgrund der Wärme des Felsbetts weggeschmolzen sein. Zweitens müssen die Klimainformationen auch in den ältesten Bereichen des Eises gut aufgelöst vorliegen. Und drittens darf die chronologische Abfolge der Schichten des tiefen Eises nicht durch Überschiebungen gestört worden sein. Nach aufwändigen Abklärungen stellte sich schliesslich heraus, dass der «Little Dome C» genannte Standort diese Bedingungen am besten erfüllt.

Falls die EU, wie erhofft, die zweite Phase von Beyond EPICA – Oldest Ice bewilligt, sollen die Bohrarbeiten im November 2021 beginnen. Angestrebt wird ein Bohrkern mit einem Durchmesser von 10 Zentimetern. Während dreier antarktischer Sommer soll die Bohrung jeweils von November bis Anfang Februar fortgeführt werden. 2024 sollte schliesslich eine Tiefe von 2730 Meter erreicht sein, wo das Eis mindestens 1,5 Millionen Jahre alt ist. 2025 sollten dann erste Analyseergebnisse vorliegen, die es ermöglichen werden, den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und dem Klima während des sogenannten mittelpleistozänen Übergangs und der Zeit davor zu untersuchen.

Oeschger-Zentrum für Klimaforschung

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es ist ein führendes Klimaforschungszentrum und bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war.

www.oeschger.unibe.ch  

09.04.2019