Methylchlorid im Weltall ist kein Hinweis auf Leben

Ein internationales Team mit Forschenden der Universität Bern hat erstmals bei einem jungen Stern sowie im Kometen «Chury» Methylchlorid gefunden – ein organisches Molekül, das auf der Erde durch biologische und industrielle Prozesse erzeugt wird. Dieser Fund in einer lebensfeindlichen Umgebung bedeutet, dass sich das Molekül nicht wie bisher erhofft für die Suche nach ausserirdischem Leben eignet.

Methylchlorid (CH3Cl) ist die häufigste chlorhaltige Substanz in der Erdatmosphäre. Jährlich produzieren Bäume, aber auch Algen und andere Organismen sowie Industriebetriebe bis zu drei Megatonnen dieses sogenannten Organohalogens. Könnte man in der Atmosphäre von weit entfernten Planeten Methylchlorid nachweisen, wäre dies vielleicht ein Hinweis auf ausserirdisches Leben, so die bisherige Annahme. Doch nun hat eine internationale Forschungsgruppe das Molekül erstmals dort nachgewiesen, wo es sicher kein Leben gibt: in einer interstellaren Gaswolke bei einem neu entstehenden Stern.

Methylchlorid existiert bei Sternen und Kometen

Diese Beobachtung gelang mit dem Radioteleskop ALMA in der chilenischen Atacama-Wüste auf 5’000 Meter Höhe, wie Edith Fayolle vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge, USA, und ihre Kolleginnen und Kollegen in der Fachzeitschrift «Nature Astronomy» berichten. Zum ALMA-Team, welches das Sternentstehungsgebiet analysiert, zählen auch Maria Drozdovskaya und Susanne Wampfler vom Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern. «Die untersuchte Region mit ihrem sonnenähnlichen jungen Stern ist eines der erdnächsten und chemisch reichsten Gebiete. Deshalb ist es bei uns besonders beliebt», erklärt Maria Drozdovskaya: «Unser Sonnensystem könnte zu Beginn vor 4,6 Milliarden Jahren so ausgesehen haben.»

Doch was passiert mit dem Methylchlorid, das in der interstellaren Wolke nachgewiesen wurde? Übersteht das Organohalogen die weitere Entstehungsphase eines Sternsystems oder wird es wieder zerstört, bevor sich Planeten formen können? Um diese Fragen zu beantworten, kontaktierten die beiden Forscherinnen in Bern die ehemalige CSH-Direktorin und Kometenexpertin Kathrin Altwegg. Die Berner Professorin leitete das Team, das mit seinem Massenspektrometer namens Rosina an Bord der Rosetta-Raumsonde den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko («Chury») untersuchte. Das ALMA-Team bat Altwegg, in ihren Daten nach Methylchlorid zu suchen. Susanne Wampfler erklärt warum: «Kometen konservieren das Material aus der Anfangszeit unseres Sonnensystems. Wenn wir auf einem Kometen Methylchlorid finden, bedeutet das, dass es die Entstehungsphase eines Sternsystems überstehen kann.»

Zusammen mit ihrem Kollegen Martin Rubin machte sich Kathrin Altwegg an die Arbeit. «CH3Cl ist ein schwieriges Molekül, da es sich unter anderen versteckt», erklärt die Wissenschaftlerin: «Wir sehen es nur während Phasen, in denen Halogene, also auch Chlorwasserstoff (HCl) häufig sind. Diese Phasen waren selten, aber es gab einige.» Tatsächlich gelang es den Berner Forschenden, in Daten vom Mai 2015 das gesuchte Molekül nachzuweisen. «Methylchlorid existiert also durchaus ohne Leben in Molekülwolken und überlebt auch das Anwachsen zu einem Kometen», fasst die Forscherin zusammen: «Bei der Suche nach ausserirdischem Leben auf fernen Exoplaneten eignet sich deshalb Methylchlorid kaum als Biomarker, wie bisher erhofft.»

Ideale Rahmenbedingungen für weitere Zusammenarbeit

Vermutlich wird Methylchlorid während der Stern- und Planetenentstehung als Eis auf der Oberfläche winziger, interstellarer Körner gebildet. Um weitere, offene Fragen zu klären, wollen die Wissenschaftlerinnen aus den verschiedenen Forschungsgebieten in Zukunft vermehrt zusammenarbeiten. «Solche Kollaborationen sind noch viel zu selten», sagt Kathrin Altwegg. «Das Center for Space and Habitability (CSH) hier in Bern bietet dazu die idealen Rahmenbedingungen», fügen Maria Drozdovskaya und Susanne Wampfler bei.

Angaben zur Publikation:

E. Fayolle et al.: Protostellar and Cometary Detections of Organohalogens, Nature Astronomy, October 2017, http://dx.doi.org/10.1038/s41550-017-0237-7

02.10.2017